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Stichwort: Adler, Alfred Leseprobe in
voller Länge aus dem Lebensdaten: Geboren 1870 in Penzing (heute zu Wien) gestorben 1937 in Aberdeen (Schottland), Augenarzt, Internist, Psychiater, Psychologe. Seit 1902 arbeitete Adler mit Sigmund Freud zusammen, überwarf sich jedoch 1911 mit ihm und begründete in Abgrenzung zu Freuds Psychoanalyse die »Individualpsychologie«. Im Gegensatz zu Freud vertrat Adler die These, dass nicht die Störung der kindlichen Sexualität, sondern der »Minderwertigkeitskomplex«, die Erfahrung des Kindes als »Zwerg unter Riesen«, das Zentrum der Neurose darstelle. Neben dem Begriff »Minderwertigkeitskomplex« prägte Adler weitere in die Alltagspsychologie eingegangene Wendungen wie Gemeinschaftsgefühl, Lebensstil, Überkompensation, Körpersprache sowie Aggressionstrieb und Geltungsstreben. In einem übersteigerten »Geltungsstreben« bzw. dem »Wille zur Macht« sah Adler die Ursache für viele psychische Probleme. Hauptwerke: »Studie über die Minderwertigkeit von Organen« (1907), »Über den nervösen Charakter« (1912), »Menschenkenntnis« (1927) und »The Pattern of Life« (1930).Bedeutung für die Gestalttherapie: Entgegen dessen, was die Eigenbezeichnung »Individualpsychologie« vermuten lässt, betonte Adler die Bedeutung des sozialen Zusammenhanges bei der Entstehung psychischer Probleme und sah in Neurosen eine subjektiv funktionelle Antwort auf gesellschaftliche Störeinflüsse. Diese These hat die Gestalttherapie aufgegriffen und systematisiert. Auch durch die Überwindung der Vorstellung, allein Sexualprobleme seien die Ursache von Neurosen, bereitete Adler eine ganzheitlichere Sicht der therapeutischen Arbeit vor. Eine oft übersehene Verbindung zwischen Adler und der Gestalttherapie erwuchs aus seiner Aufmerksamkeit für die »Körpersprache«. So mussten sich zum Beispiel seine Patienten nicht wie bei Sigmund Freud auf eine Couch legen, sondern saßen, wie er selbst, gleichberechtigt auf einem Stuhl. Beispielsweise setzte sich Adler zu Füßen eines Kindes, damit es sich nicht so klein vorkam und seine Angst verlor. Ein scharfer Gegensatz zwischen Gestalttherapie und Adlers Individualpsychologie ergibt sich allerdings hinsichtlich des Aggressionsbegriffs, der bei Adler negativ, in der Gestalttherapie positiv gefüllt wird. Würdigung: Erving und Miriam Polster schreiben in ihrem Buch »Gestalttherapie« (1975), in welcher Hinsicht sie an Adler anknüpfen: »Adlers Konzepte des Lebensstils und des kreativen Selbst postulierten die einzigartige und aktive Teilnahme jedes Individuums, das – im Laufe seiner persönlichen Evolution – seine eigene spezifische Natur formt. Er beschrieb den Menschen als bewussten Schöpfer seines eigenen Lebens, der sich sogar Fiktionen schaffte, durch die seine Handlungen gelenkt wurden. […] Auch wir glauben, dass der Mensch sich selbst erschafft. Die größte Energie für diese prometheische Anstrengung entstammt seiner Bewusstheit und dem Akzeptieren seines Selbst, wie er gegenwärtig ist« (S. 298). Perls, Hefferline, Goodman (Gestalttherapie, Band »Praxis«, 1951) dagegen kritisieren die Abwendung der Adlerischen Therapie von der Gegenwart. Zwar würde sie sich nicht wie die Psychoanalyse in die Vergangenheit flüchten, doch sei es therapeutisch gesehen ebenso falsch, sich stattdessen auf die Zukunft zu fixieren: »Adler, im Gegensatz zu Freud, bestärke seine Patienten in einer Hinwendung zur Zukunft. Er verlangte, dass der Patient eingehend über seinen Plan für das Leben sprach, über seine Aussichten, Ambitionen und höchsten Ziele. Ein solches Verfahren verschlimmert noch, was ohnehin schon der allgemeinen Neigung entspricht, nämlich, dass man versucht, wie unmöglich das auch ist, dem Gegenwärtigen immer einen Schritt voraus zu sein. Menschen, die so in der Zukunft leben, holen niemals die Ereignisse ein, auf die sie sich vorbereitet, und ernten nie, was sie gesäht haben. Selbst für das unwichtigste Gespräch studieren sie ihren Part vorher ein und können dann nichts mehr spontan tun, wenn es soweit ist« (S. 58). Siehe auch: Aggression; Freud, Sigmund; Gegenwart; Psychoanalyse © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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