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Stichwort: Perls, Laura Leseprobe in
voller Länge aus dem Lebensdaten: Geboren 1905 als Lore Posner in Pforzheim, gestorben daselbst 1990. Sie stammt aus einer jüdischen Juweliersfamilie. Sie hat eine Schwester und einen Bruder. Als einziges Mädchen besucht sie ein Gymnasium und fängt nach dem Abitur zunächst ein juristisches Studium an, wechselt jedoch schnell zu Philosophie und Psychologie. In Frankfurt besucht sie Seminare und Vorlesungen u.a. von Max Scheler, Paul Tillich, Kurt Goldstein, Adhemar Gelb (der ihr Doktorvater wird) und Martin Buber. In einem Kolloquium, das Goldstein und Gelb gemeinsam halten, lernt sie 1926 Fritz Perls kennen. Sie folgt ihm auf seinen verschlungenen Lebenspfaden, hält sich jedoch stets im Hintergrund. Allerdings ist ihr Einfluss auf die Theorieentwicklung zunächst von Fritz und später von der gesamten Gestalttherapie enorm. Nach der Geburt ihrer Tochter Renate 1931 beschäftigte sich Laura mit dem Verhalten von Säuglingen beim Stillen. Psychoanalytiker sprachen hier von »oral-sadistischen Impulsen«. Laura (und Fritz) versuchten, dieses Verhalten nicht (ab)wertend zu betrachten, sondern als erste Versuche einer sich die Umwelt zum eigenen Überleben aneignenden, natürlichen Auseinandersetzung, die sie im positiven Sinne Aggression nannten. Dann wendeten sie sich dem Übergang vom Saugen zum Kauen zu. Dieser Übergang kennzeichnet eine neue Stufe der »Aggression«, die notwendig ist. Wenn an dieser Stelle die Aggression gehemmt wird, legt das den Grundstein für spätere Probleme des Individuums, sich der Umwelt aggressiv zu nähern. Zunächst sprachen sie von »oralem Widerstand« (später ist, bildlicher, von »Beißhemmung« die Rede). Mit diesen Überlegungen schuf Laura die Grundlage der späteren gestalttherapeutischen Theorie der Aggression. In einem Vortrag 1939 formulierte Laura die zentrale Gleichung der neuen Aggressionstheorie: »Die Verdrängung der individuellen Aggression [führt] unweigerlich zu einem Anstieg der universellen Aggression« (Vortrag über Friedenserziehung in Johannisburg 1939, zit. n.: Laura Perls, Leben an der Grenze, S. 14f). Sie half Fritz im südafrikanischen Exil, das Buch »Das Ich, der Hunger und die Aggression« (1944) zu schreiben. Sie bestand jedoch nicht darauf, als Mitautorin genannt zu werden. Paul Goodman entwickelte in Anschluss an Freud und Reich ähnliche Überlegungen und benutzte dazu den Begriff »natürliche« oder »gesunde Gewalt«, deren Unterdrückung zum universellen Kriegs- und Zerstörungswunsch führe. Seine entsprechenden Aufsätze (und den Roman »The Grand Piano«) lasen Laura und Fritz Perls noch in Südafrika; so war es ganz folgerichtig, dass sie Paul Goodman aufsuchten, nachdem sie Ende der 1940er Jahre nach New York gingen. Paul Goodman wurde ihr Klient, Geliebter, Freund und Kollege. Auch an dem Buch »Gestalt Therapy« von 1951 hat Laura einen großen, jedoch nicht ganz genau festzustellenden Anteil. Wieder verzichtet sie darauf, als Autorin in Erscheinung zu treten. Allerdings wählt man sie, um ihr Anerkennung und Respekt zu zollen, zur Präsidentin des »New York Institute for Gestalt Therapy«, das sie in antibürokratischer und antiautoritärer Weise führt. Laura und Fritz entfremdeten sich zunehmend. Fritz ging nach Kalifornien und Laura blieb in New York bei den Freunden der ursprünglichen Gestaltgruppe. Anlässlich von Fritz’ Tod sorgte Laura für einen Eklat, als sie Paul Goodman die Rede auf der Trauerfeier in New York halten ließ. Goodman hatte zwar mit Laura am Telefon geweint, als sie ihm von seinem Tod berichtete, wollte es sich jedoch nicht versagen, bei der Rede auch Kritik an dem verstorbenen Mitstreiter zu üben. Noch mehr als zwanzig Jahre setzte Laura ihre im Gegensatz zu Fritz »stille« Gestaltarbeit fort. Sie betonte die Vorsicht und Zurückhaltung bei der Arbeit, wies darauf hin, dass der Klient Unterstützung (»support«) benötige und betonte die Wichtigkeit von Theorie, Philosophie und Kunst bei der Ausbildung von Gestalttherapeuten. Laura Perls über die Ziele der Gestalttherapie: »E. Mark Stern: Laura, was sind aus deiner Sicht die Ziele der Gestalttherapie? Laura Perls: Kontinuierliche Gestaltbildung. Damit meine ich, dass alles, was für den einzelnen, für Gruppen, Paare, Familien oder soziale Bewegungen wichtig und interessant ist, in den Vordergrund tritt, wo es klar und deutlich erfahren und bearbeitet werden kann. Sind diese Interessen dann befriedigt oder erfüllt, können sie wieder in den Hintergrund treten und den Vordergrund frei machen für die nächste Herausforderung – für die nächste Gestalt. E. Mark Stern: Wenn wir das nun einem Studenten klarmachen wollten, wie würden wir das am besten ausdrücken? Laura Perls: Zunächst einmal würde ich erklären, was der Begriff ›Gestalt‹ bedeutet. Gestalt ist eigentlich ein philosophisch-ästhetisches Konzept. In Deutschland gibt es Kunsthochschulen, die sich Hochschule für Gestaltung nennen, und da der Begriff Gestaltung keine einzelne, fixierte Gestalt beschreibt, sondern einen Prozess, wäre Gestaltungstherapie eigentlich treffender als Gestalttherapie. Denn fixierte Gestalten sind ja genau das, was wir in der Therapie oder der Theorie nicht anstreben. E. Mark Stern: Es geht dir um ein konstantes, offenes Feld, das Hinweise auf ein fehlendes Element enthält, das zu einem Gefühl von Geschlossenheit führen könnte. Was die Gestalttherapie aber auch deutlich macht, ist, dass es so etwas wie absolute Vollständigkeit oder Geschlossenheit nicht unbedingt geben kann. Laura Perls: Geschlossenheit gibt es immer nur vorübergehend. Wenn ich eine absolute Geschlossenheit anstrebe, dann ist diese Geschlossenheit in der Regel übereilt und äußerst eng. E. Mark Stern: Aber die Aussicht auf Schließung erzeugt Hoffnung. Ich nehme an, dass es diese Art von Hoffnung ist, worauf es in der Therapie wirklich ankommt. Laura Perls: Die Aussicht auf Offenheit erzeugt Hoffnung. Richard Kitzler: Oder die Schließung erzeugt Offenheit. Ich verstehe Laura so, dass Kontakt zu einer Abstraktion führt – dass man sieht, was im Hinblick auf das eigene Wachstum zur Verfügung steht und sich dann dem nächst dringenden Bedürfnis zuwendet. Laura Perls: Wir haben die Verpflichtung, dass die Gestalttherapie nicht selbst zu einer fixierten Gestalt wird. Richard Kitzler: Das ist sie schon. Um Gestalttherapie zu erklären, müsste man über die Sprache hinausgehen und Aspekte wie Körpersprache oder Haltung mit einbeziehen. Aus der Art, wie jemand steht und sich Boden verschafft, lässt sich manches ersehen. Es geht darum, das, was Laura in Worte fasst, auch zu erfahren. E. Mark Stern: Ob man sich mit der Körperhaltung oder den Vorstellungen eines Menschen befasst, man sollte sich bewusst sein, dass es darum geht, Fixierungen zu vermeiden. In deiner Sprache bedeutet ›sich Boden verschaffen‹, durch das, was man assimiliert hat, Unterstützung zu erfahren. Das erzeugt Offenheit. Richard Kitzler: Andernfalls stecken wir auf ewig in dem, was wir Objektkonflikt nennen. Laura Perls: Bedeutung entsteht aus der Beziehung zwischen Figur und Grund. E. Mark Stern: Mit all dem neuerdings wieder auflebenden Interesse an der psychoanalytischen Objekt-Beziehungs-Theorie kann man im Rahmen dieser Theorie feststellen, dass sich das Selbst im Auftauchen und/oder Verschwinden von Objekten erst konstituiert, während es aus gestalttheoretischer Sicht ein Gegebenes ist, das sich in vielen Ganzheiten widerspiegelt. Richard Kitzler: Die Objekt-Beziehungs-Theoretiker haben versucht, die Spaltung zwischen Geist und Körper zu überbrücken, ohne es zu schaffen. Und nun endet man mit allerlei Verdrehungen, einer Geheimsprache und abgehobenen Aussagen. Die Gestalttherapie schließt eine solche Spaltung von vornherein aus und befasst sich statt dessen mit der Interaktion und dem Kontakt an der Grenze zwischen Organismus und Umwelt. E. Mark Stern: Mir ist aufgefallen, dass Ernest Becker in einer seiner späteren Veröffentlichungen auf deine Arbeit aufmerksam geworden ist: ›Wie Laura Perls so lebendig formuliert, schwankt der Mensch zwischen diesen beiden Polen. Der eine Pol gibt ihm das Gefühl von überwältigender Wichtigkeit und der andere das von Angst und Frustration.‹ Das Originalzitat stammt aus ›Gestalt Therapy Now‹ (1971). Laura Perls: Um es noch deutlicher zu machen: Der Neurotiker ist jemand, der Angst hat, sich mit dem Prozess des Sterbens auseinanderzusetzen, und deshalb kann er nicht leben. Sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein, ist in der Tat ein Anreiz zu leben. Mir wurde das mit ungefähr 24 Jahren bewusst, bei der Beerdigung eines Freundes, der mit 26 an einer Infektion gestorben war. Es gab damals keine Antibiotika. Das war ein sehr schockierendes Erlebnis für mich; als ich den Friedhof jedoch verließ, erschien mir die Welt plötzlich sehr hell und heiter, und ich fühlte mich voller Energie. Ich konnte mir das nicht erklären und erzählte es am nächsten Tag meinem Analytiker. Ich hatte das Gefühl, dass wenn wir uns der Tatsache, dass wir eines Tages sterben werden, nicht bewusst wären, sich unser Leben von dem eines Tieres kaum unterscheiden würde – dass die Lebenslust und der Drang zum Leben beim Menschen mit dem Bewusstsein des Sterbens einhergehen. Die Antwort meines Analytikers war: ›Jetzt ist deine Analyse beendet.‹ E. Mark Stern: Laura, wie geht es dir angesichts der Verbindung von Gestalttherapie und anderen therapeutischen Richtungen wie etwa der Transaktionsanalyse oder der Psychoanalyse? Laura Perls: Im Rahmen von Gestalt ist jedes Verfahren anwendbar, so lange es existenziell und erfahrungsorientiert ist – und experimentell in dem Maße, wie Unterstützung für das Experiment mobilisiert werden kann. E. Mark Stern: Aber die Transaktionsanalyse lässt sich kaum als existentieller Ansatz verstehen, sondern nähert sich dem Menschen auf äußerst mechanische Weise. Laura Perls: Die Lebensskripte, von denen die Transaktionsanalyse spricht, sind nichts anderes als fixierte Gestalten, und wenn man ein neues Skript schreibt, ist das wiederum eine fixierte Gestalt. Richard Kitzler: Du hast einmal gesagt, dass ein Anhänger einer bestimmten Denkschule, der seinen Ansatz mit seiner Erfahrung in Einklang gebracht hat, sich einer ganzen Reihe von technischen Herangehensweisen bedienen kann. Laura Perls: Ich würde lieber von Stilen als von Techniken sprechen. Einen persönlichen Stil entwickelt man aus dem eigenen Hintergrund und der eigenen Erfahrung heraus. E. Mark Stern: So dass der Stil sich wirklich auf den Einzelnen bezieht, während eine Technik sich auf ein Schema oder eine fixierte Gestalt bezieht. Laura Perls: Und Stil ist umfassender. E. Mark Stern: Mir scheint, dass wir gerade ein Verständnis dafür entwickeln, wie die Gestalttherapie mit dem Phänomen der Übertragung umzugehen beginnt. Laura Perls: Was übertragen wird, ist nicht die Vater-Mutter-Kind-Beziehung, sondern bestimmte fixierte Verhaltensweisen, die zur Zeit ihrer Entstehung keinen Widerstand darstellten, sondern hilfreich waren. Es sind Entwicklungsaspekte, die sich verselbständigt und automatisiert haben. Das heißt, es handelt sich um eine fixierte Gestalt, deren man sich nicht bewusst ist. Was wir in der Gestalttherapie tun ist, diese fixierten Gestalten zu ent-automatisieren und dadurch dem Klienten bewusst zu machen, dass er hiermit über Energieressourcen verfügt, die eine neue Handlungsbasis darstellen können« (1982, in: Laura Perls, Meine Wildnis ist die Seele des Anderen, Wuppertal 2005, S. 174ff). Erving Polster: »Bei Laura hatte ich meine allererste Einzelsitzung. Sie kam zu einem Workshop, in dem wir auch Einzelsitzungen hatten, und ich hatte eine bei ihr. Innerhalb sehr kurzer Zeit machte sie ein paar Sachen mit mir, die mir die Augen öffneten. Inzwischen weiß ich, dass es sehr einfache Dinge waren, aber mit weitreichenden Folgen. Es ging um meinen Vater. Ich hatte etwas über meinen Vater gesagt, und dann machte ich einen Moment lang die Erfahrung, wie es war, mein Vater zu sein. Ich konnte fühlen, wie umfassend und stark sie in diesem Moment mit mir verbunden war. Sowohl bei ihr als auch bei den anderen spürte ich einen großen Reichtum an Erfahrung. Ich dachte, dass ich von ihr eine Menge über Sprache und Bewegung lernen könnte. Als ich später einen ihrer Workshops besuchte, bemerkte ich, dass sie sich sehr fein und sehr genau auf bestimmte Dinge einstellte, die die Teilnehmer taten. Sie wusste, wie sie so etwas entwickeln konnte. Was mir bei ihr auffiel, und was ich bei Fritz oder Paul Weisz nicht gesehen hatte, vielleicht nicht einmal bei Isadore, war – wie soll ich es nennen? – eine bestimmte Art des warmen Einfühlens, ein Sich-Einwärmen in den anderen. Sie kam einem körperlich näher. Sie lächelte. Nebenbei sagte sie ermutigende Dinge. Und sie scheute sich nicht, durch ihre Gesten und Bewegungen ganz klar und deutlich Unterstützung zu geben« (in: Anke und Erhard Doubrawa [Hg.], Erzählte Geschichte der Gestalttherapie, S. 200f). Daniel Rosenblatt: »[Therapie bei Laura Perls.] Ich erinnere mich, dass wir zusammensaßen und rauchten und dass sie strickte! Das war aber nicht feindselig, sie war immer da. Es ist ein Kontrast aus der Sicht der Gestalttherapie, weil kein Gestalttherapeut je stricken würde, aber das kriegte ich gar nicht mit, ich hatte nicht den Eindruck, dass sie nicht aufmerksam war. Ich glaube, dass zu jener Zeit viele weibliche Analytiker strickten, einfach weil sie so viel Zeit mit rumsitzen verbrachten. Sie machte bzw. wir machten damals keine freien Assoziationen. Die andere Sache, die mir natürlich sofort einfällt, ist, dass ich 23 war und Laura ungefähr 43, weil sie 20 Jahre älter ist als ich, und zu jener Zeit war sie eben für mich eine Frau mittleren Alters. Da ich nun fast 20 Jahre älter bin als sie damals, ist es schwer für mich, mir das vorzustellen. Ich meine, sie war damals wirklich eine junge Frau, wenn man so will, ungefähr in eurem Alter, und der Abstand zwischen 23 und 43 war sehr groß, aber ich habe aufgeholt. Sie erschien mir damals viel älter und mütterlicher; aber wahrscheinlich teilweise nur aus meiner damaligen Sicht. Anna [Sreckovic]: Ich möchte etwas mehr darüber hören, wie es für dich nach deinen Erfahrungen mit der Psychoanalyse war, mit Laura zu arbeiten. Was war das Besondere an ihrer Arbeit in jenen Tagen? Dan [Rosenblatt]: Nun, sie war sehr persönlich und direkt, und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mich wie ein Patient verhalten sollte. Sie arbeitete nicht nach einem medizinischen Modell, und ich fühlte mich immer als Person angesprochen und nie als jemand, der bewertet wurde, fühlte mich nie als Kranker. Ich konnte mit ihr über meine Erfahrung sprechen und hatte nie das Gefühl, dass sie mir nicht direkt antwortete. Ich hatte nie den Eindruck, mich zu unterwerfen, gezwungen oder von oben herab behandelt zu werden. In der Psychoanalyse muss man, selbst wenn der Analytiker ein warmherziger Mensch ist, die Position des Patienten hinnehmen. Die Couch benutzte sie (im Gegensatz zu Fritz) nicht mehr. In der Arbeit mit ihr erfuhr ich sehr deutlich, was es heißt, authentisch zu sein« (in: A. u. E. Doubrawa [Hg.], Erzählte Geschichte der Gestalttherapie, S. 267f). Kristine Schneider: »Therapie versteht sie [Laura Perls] als den Weg vom Fremdsupport, der Stütze von außen, zum Selbstsupport, der Unabhängigkeit von fremder Hilfe. Die Aufgabe der Therapie sieht sie in der Herstellung einer existenziellen mitmenschlichen Beziehung zwischen dem Therapeuten und seinem Patienten, in der Nacherziehung und Umerziehung stattfindet. Hauptstütze dieser therapeutisch ergänzenden ›Pädagogik‹ ist der direkte und vorbehaltlose Kontakt zum Therapeuten, weil durch ihn der Kontakt des Patienten zu sich selbst erleichtert wird. Selbstsupport ist wichtig für die fortlaufende Gestaltbildung. Folgerichtig gibt Laura der therapeutischen Situation mehr Natürlichkeit: ›Ich habe fünfzehn Jahre lang Analysen durchgeführt und weiß, was es heißt, ohne die Stütze des Kontakts zu sein. Der Patient bleibt ohne Selbstsupport, erinnert sich mehr und mehr, bekommt Interpretationen, die er entweder glaubt oder nicht. Ich saß hinter dem Patienten, er blickte zur Wand. Wie sollte da ein Dialog aufkommen?‹ Also setzt sie sich dem Patienten gegenüber und wird für ihn Person. Das Kontakt/Support-Konzept rückt ins Zentrum. Zu seiner Orientierung darf der Patient sich auf den Raum, die Zeit und seine Mitmenschen beziehen, das allein gibt schon Stütze. Ihm wird wirklich zugehört, er wird wörtlich genommen, und anstatt analysiert zu werden, erhält er Hilfen, die richtigen Ausdrücke, die passenden Bewegungen, eine gelockerte Körperhaltung zu finden, mit der er sich stark genug vorkommt, um die Grenzerfahrung einzugehen. Mit ernsten Vorbehalten notiert Laura die Fixierung mancher Therapeuten in konfrontativem Vorgehen. Für sie hat übermäßige Konfrontation antitherapeutischen Stellenwert: ›Das sind Leute, die den Zusammenbruch suchen, nicht den kalkulierbaren Durchbruch. Einfach zu durchbrechen, womit jemand sich schützt, ist kurzsichtig.‹ Folgerichtig schont sie den Rest an Selbstsupport, den der Patient mitbringt, einschließlich seiner Widerstände. Ihre Begründung: ›Eine neue Stütze findet man nicht sofort‹, und: ›Das Fehlen des wesentlichen Support führt immer in die Angst.‹ Ihre Art, Gestalttherapie auszuüben, beruht auf einer Reihe klarer und einfacher Grundsätze – was nicht heißt, sie wären einfach zu finden gewesen. Wie alles Einfache – und Wahre – forderten sie viele Jahre disziplinierter Reflektion: nicht überfordern, an der subjektiven Wahrnehmung des Patienten bleiben, ihn da abholen, wo er sich innerlich befindet, ihn die eigenen Grenzen erleben und die Dynamik seiner Grenzziehung durchsichtig werden lassen. Menschen ohne klare Grenzen sind für Introjektion und Projektion offen und erkennen nicht mehr, wer sie selbst sind und wer der andere ist, sie haben das Gespür für das verloren, was in ihrem Leben wirklich wichtig ist. Wer mit Laura gearbeitet hat, weiß um ihre Fähigkeit, sich Kummer wirklich angehen zu lassen, ohne ihn zu ihrem eigenen Kummer zu machen, sich mitzufreuen und mit aufzuregen; alle konnten sie als Freundin kennen lernen, die manchmal amüsiert, manchmal neugierig und gelegentlich betroffen war, die jedoch genügend Distanz zum Geschehen hatte, so dass ihre Einfälle zur Erprobung des Neuen niemals versiegten. Die Einfachheit ihrer professionellen Grundsätze hat gelegentlich dazu verführt, sie zur Weltanschauung und zu Patentrezepten zu versimpeln – ein Missverständnis, das Laura stets dazu herausforderte, die Betreffenden mit ihrer fehlerhaften intellektuellen Verdauung zu konfrontieren. Domäne ihrer therapeutischen Arbeit war die Gründlichkeit im Detail. Fern von allem Kulthaften und Quasireligiösen, das – zu Lauras Leidwesen – oft in Verbindung mit Gestalttherapie auftritt und sogar damit verwechselt wurde, betrieb sie eine Therapie von Eleganz, gepaart mit Nüchternheit; eine Kleinarbeit, die als gelungene Synthese von Phänomenologie, genauem Hinsehen, Psychodynamik, dem Erfahren der Tiefe und dem Experiment, das in der geplanten Verhaltensvariation besteht, anzusehen ist. Schrittweise spürte sie Blockierungen auf und brachte sie in den Vordergrund der Awareness durch Übertreibung einer der darin verwickelten Polaritäten, um von da aus Experimente in verschiedene Richtungen zu entwickeln. Das Experiment befreit die Dynamik, und umgekehrt trägt die Dynamik das Experimentieren, bis das volle Kontakterlebnis sich einstellt. Für die Ausbildung dreier Generationen von Gestalttherapeuten zeichnet sie verantwortlich. Viele ihrer Schüler haben sich über die USA hinaus einen Namen gemacht: Paul Weisz, Isadore From, Erv und Miriam Polster, Jim Simkin, Edward Rosenfeld, Joseph Zinker und andere. In der Festschrift für Laura Perls, die das ›Gestalt Journal‹ herausgegeben hat, äußern sich viele, die bei ihr gelernt haben, mit einer Herzlichkeit, die Laura verdient hat. Bei ihr fanden sie eine durchgängige Akzeptanz, die besonders dann spürbar wurde, wenn sie sich selbst nicht im besten Zustand befanden. »Auf einen Therapeuten muss man sich verlassen können,« sagte Laura und meinte damit professionelle Verlässlichkeit durch persönliche Stärke und durch Behutsamkeit« (Kristine Schneider, 1993, in: Laura Perls, Meine Wildnis ist die Seele des Anderen, Wuppertal 2005, S. 209ff). Literatur: Laura Perls, Leben an der Grenze, Köln 1989; Laura Perls, Meine Wildnis ist die Seele des Anderen: Im Gespräch mit Daniel Rosenblatt u.a., Wuppertal 2005. Siehe auch: Aggression; Beißhemmung; Buber, Martin; Gestaltpsychologie; Goodman, Paul; Phänomenologie; Shapiro, Elliott; Unterstützung © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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