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Stichwort: From, Isadore Leseprobe in
voller Länge aus dem Lebensdaten: 1918-1994. War einer von Fritz und (später) Laura Perls’ ersten Klienten in New York. Er gehörte auch zu den ersten Trainees am »New York Institute of Gestalt Therapy«, an dem er bald als Ausbilder tätig wurde. Die Menschen, mit denen er zusammen arbeitete und die er ausgebildet hat, beschreiben sich heute noch als nachhaltig von Isadore From beeinflusst, z.B. von seiner Liebe zur Theorie. Allerdings hat er fast nichts veröffentlicht, sodass seine Wirkung nur durch mündliche Tradierung erhalten geblieben ist (ein Beispiel siehe unter dem Stichwort Traum). Würdigung: Daniel Rosenblatt schilderte Isadore From in seinem Nachruf (Gestaltkritik 2/1995) als »brillianten Therapeuten« und führte dazu weiter aus: »Ein wichtiger Aspekt in der Bedeutung Isadores als Therapeut war sein ausgeprägtes Mitgefühl mit den Leiden des Patienten und seine Empathie für solche Schmerzen. Er selbst war als Klient depressiv und sogar suizidal gewesen […]. Daher war ihm große Not nicht unbekannt.« Michael V. Miller: »Wenn ich gezwungen würde, das Zentrum von Isadores Einfühlsamkeit in ein Wort zu fassen, so würde ich ›Passion‹ wählen. Natürlich ist es nötig, diesen beladenen Begriff sorgfältig zu definieren, wenn man ihn in unseren Zeiten gebrauchen möchte. Außerdem hätte Isadore in seiner üblichen Art von mir verlangt, ihn sorgfältig zu definieren. ›Passion‹ ist schließlich in der modernen Welt in Verruf gekommen. Unsere post-romantische Geisteshaltung ist zerrissen und ambivalent, weil wir in vielerlei Hinsicht noch vom romantischen Ideal bestimmt sind, das viele von uns jedoch intellektuell ablehnen, denn wir setzen ›Passion‹ mit irrationalen Impulsen gleich, die zu Fanatismus, Besessenheit oder sogar Missbrauch führen können. ›Passion‹ erscheint dem kühlen postmodernen Temperament sowohl als zu passiv und egoistisch als auch als ein zu Ich-schwaches Nachgeben gegenüber inneren Sehnsüchten oder überwältigenden äußeren Versuchungen. ›Passion‹ kann jedoch auch etwas viel aktiveres und konzentriertes bedeuten, so wenn wir von einer ›passionierten Beschäftigung‹ sprechen, einer Leidenschaft für eine Sache, der wir unsere ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. From war in demjenigen Sinne passioniert, den Kierkegaard im Kopf gehabt haben muss, als er einem Buch den Titel gab: ›Reinheit des Herzens bedeutet, eine Sache zu wollen‹. Nur wenige Menschen scheinen diese Fähigkeit zu haben. Isadore ist einer von denen, die sie hatten, sowohl persönlich als auch intellektuell. Solch eine Passion verlangt eine grundlegende Ernsthaftigkeit, allerdings nicht jene Art Ernsthaftigkeit, die sich schwer auf die Seele legt wie die puritanische Theologie. Es ist mehr die spielerische Ernsthaftigkeit, die der holländische Historiker J. Huizinga in seinem wundervollen Buch ›Homo Ludens‹ als zivilisierende Tugend beschreibt. Huizinga meinte, dass diese Form tiefgründigen Spiels das Herz der Kultur, der Kunst und der Religion sei. In Isadore Froms Praxis war sie auch das Herz der Psychotherapie. ›Passion‹ in diesem Sinne ist, wie Isadore uns erklärt haben würde, nicht passiv. Sie hat einen bedeutenden aggressiven Anteil. Auch hinsichtlich des Begriffs ›Aggression‹ ist eine genaue Definition erforderlich. Wenn Isadore von ›Aggression‹ sprach, beabsichtigte er, dass das Wort in dem positiven Sinne verstanden wird, in welchem die Gestalttherapie ›Aggression‹ interpretiert: als eine nützliche, ausdrucksstarke und kreative menschliche Kraft, etwas zu schaffen oder etwas zu bewirken, sich selbst bereitwillig der Welt zurückzugeben und von der Welt zu empfangen. Dies ist alles, nur keine feindselige kriegsähnliche Machtausübung über andere, an den wir heute generell denken, wenn man von ›Aggression‹ spricht. Diese Art des Machtwillens gründet, wie Isadore gesagt haben würde, nicht in freier und spontaner Aggression. Sie ist eher ein Symptom der unterdrückten Aggression, ein Zustand, der die Menschen dazu bringt, Kontrolle und Sicherheit in ihren Beziehungen erzwingen zu wollen. Solche feindselige Aggression ist Ausfluss der Furcht vor Impotenz oder von Gier, die aus frustrierten Bedürfnissen erwächst. Um die positive Bedeutung von Aggression in der Gestalttherapie zu illustrieren, unterschied Isadore dazwischen, ein Musikstück anzuhören [listening to a piece of music], was er als aggressiv betrachtete, da man sich selbst, seine Persönlichkeit und Geschichte in die Erfahrung einbringt, und ›der Musik zuzuhören‹ [hearing the music], was er für eine allgemeinere Form des ziellosen und darum unbestimmteren Aufnehmens hielt. Der gleiche Unterschied gilt nach From für Schauen [looking] und Sehen [seeing]. Nicht, dass es falsch sei, zuzuhören oder zuzusehen, aber Leute, die charakteristischerweise sagen ›ich sehe, was gemeint ist‹ oder ›ich höre zu‹, introjizieren vielleicht oder ziehen sich auf eine andere Weise aus der Unterhaltung zurück. Typische Bemerkungen wie diese sind Hinweise, die den Therapeuten auf die Notwendigkeit genauerer Nachforschungen aufmerksam machen. Solche Hinweise waren für Isadore in der Tat zu beobachtende Indizien, die Störungen im Kontakt anzeigen. In dem Fehlen von Widerspruch und in dem unqualifizierten Lob eines Patienten, der bemüht ist zu gefallen, vermutete Isadore eine charakterhafte Gewohnheit zu introjizieren. Daher würde er tun, was er konnte, um ihm die Kritik zu entlocken, die der Patient an ihm als Therapeuten hatte, wobei er gleichzeitig vorsichtig vorgehen würde, um zu sehen, wie ängstlich seine Anregungen den Patienten machten. Wenn jemand eine verallgemeinernde, abstrakte Sprache benutzte, um seine Erfahrung in unspezifischen Worten auszudrücken, erklärte Isadore seinen Trainees, sollte man Projektion vermuten, weil solche Unbestimmtheit im Augenblick des Kontaktes einen leeren Raum zwischen den Menschen schafft, der als Projektionsfläche dient. Er mochte es auch, diese kleinen sprachlichen Verstärker auseinanderzunehmen, die die Leute automatisch benutzen. Daran konnte er zeigen, wie Projektion funktioniert, indem man sie übertreibt. ›Was lasst ihr euch lieber sagen‹, fragte er eine Gruppe von Trainees: ›,Ich liebe dich‘ oder ,Ich liebe dich wirklich‘?‹ Die zweite Formulierung sollte einen zumindest aufhorchen lassen, schlug er vor, weil der Sprecher projizieren könnte, dass ihm nicht geglaubt wird, was darauf hinweist, dass er selbst Zweifel hat. In gleicher Weise griff Isadore ritualisierte Phrasen heraus, die wir für normal halten, wie das eingestreute ›weißt du‹ alle paar Sätze. Daran zeigte er die verborgene Annahme von Konfluenz. Das ›weißt du‹ zieht den Zuhörer ins Vertrauen des Sprechers, als ob der Sprecher sagen wollte: ›Wir sind uns so nahe, dass du meine Gedanken lesen kannst.‹ Wenn jemand ›weißt du‹ in dieser Weise benutzte, antwortete Isadore vielleicht: ›Nein, ich weiß es nicht. Du sagst es mir.‹ Damit schärfte er den Blick für die Verschiedenheit zwischen den beiden Personen, die versuchen, durch Sprechen und Zuhören in Kontakt miteinander zu treten. Die Arbeit daran, die Verschiedenheiten zu bewahren, ist in Isadores Sicht der Dinge ein wichtiger Aspekt der Psychotherapie. Ohne Verschiedenheiten lösen sich Beziehungen in Pampe auf. Dass er in solcher Weise auf sorgfältige, sogar minutiöse Unterscheidungen wert legte, machte für Isadore From seinen Ansatz der Therapie aus. Er fühlte, dass Veränderungen und Wachstum eher in kleinen Schritten als in großen Durchbrüchen vonstatten gehen. In dieser Hinsicht wich seine Meinung stark von der Frederick Perls’ ab. Patienten könnten besser kleine Schritte assimilieren, dachte Isadore, als überwältigende Dramen. Darüber hinaus können kleine Veränderungen deutliche Spuren hinterlassen: Selbst wenn man in einer festgefügten Gestalt nur eine winzige Änderung vornimmt, ist das Ergebnis eine neue Konfiguration. Darum schenkte Isadore in seiner Arbeit fast jeder eigenartigen Geste und jedem eigenartigen Wort, in denen sich jemand dem anderen darstellt, große Aufmerksamkeit: wie derjenige sitzt, geht, grüßt, sich verabschiedet, durchatmet oder nicht; außerdem beachtete er (dem folgend, was er aus den frühen Schriften von Reich gelernt hat) alle die Arten, in der sich Angst und Charakter in Muskelverspannungen ausdrücken oder (und das war sein eigener besonderer Beitrag) sich in unbestimmter bzw. ausweichender Sprache zeigen. Der Punkt ist, dass all diese Phänomene an dem beobachtet werden können, was zwischen dem Therapeuten und dem Patienten vorgeht. Darum kann der Therapeut seine Beobachtungen dem Patienten direkt zur Verfügung stellen, damit er sie durch seine eigenen Erfahrungen überprüfen kann. Dieses direkte Zusammenspiel zwischen Beobachtung und Erfahrung war Isadores Meinung nach die primäre Bedeutung der Gegenwart in der Gestalttherapie. Indem er seine Interpretationen und Interventionen – seine ›Experimente‹, wie er sie nannte – auf den Bruchstücken des Konkreten und Augenscheinlichen aufbaute, erschienen sie oft wie poetisch inspirierte Sprünge und Synthesen. Die letztendliche Quelle seiner Eingebungen war allerdings zum größten Teil das, was unmittelbar gegeben war und darum meist übersehen wurde – das Offensichtliche sozusagen. Die Methode, die dieser Art Psychotherapie innewohnt, könnte als praktische Phänomenologie bezeichnet werden. Um sie zu lehren, versuchte Isadore, seinen Trainees beizubringen, sie auf sich selbst anzuwenden. Wenn er Vorführungen machte, legte er geduldig seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen Schritt für Schritt dar. Er hatte kein Interesse an Unklarheit oder Mystik. Obwohl er der körperlichen Anwesenheit, der Bilderwelt der Träume und jeder Art weiterer Hinweise, die dem Therapeuten nützlich sein können, große Aufmerksamkeit widmete, betrachtete Isadore doch vor allem die Sprache als den vollkommenen Akt des Selbstausdrucks und der Kommunikation des Menschen. Klare Sprache war in seinen Augen ein Zeichen von Gesundheit. Er ging mit dem Stil so sorgsam um wie ein Dichter und mit Bedeutung wie ein Logiker. Sprache bedeutete für Isadore das gesprochene ›Idiom‹ eines Stammes, das eine einflussreiche Schule der Philosophie im zwanzigsten Jahrhundert die ›Umgangssprache‹ nannte – das heißt, es handelt sich nicht um Jargon und nicht um eine abstrakte, ausgearbeitete Terminologie der Sozialwissenschaft oder Psychologie. Es ist natürlich klar, dass er, wenn er Gestalttherapeuten ausbildete, Begriffe wie ›Kontaktgrenze‹, ›Retroflektion‹, ›Konfluenz‹ und so weiter gebrauchte, durch die sich die Gestalttherapie von den herrschenden freudianischen Ansätzen unterscheidet. Aber dann erklärte er diese Konzepte, selbst bei der Vorführung ihrer Anwendung, in einer hinreichend einfachen und präzisen Sprache, um sie unmissverständlich deutlich zu machen« (Michael Vincent Miller, Isadore From – ein Nachruf, dt. in: Gestaltkritik 1/2002). Literatur: Isadore From, Ärgerlich warf ich einen Aschenbecher nach Fritz Perls, Interview, 1978, in: A. u. E. Doubrawa (Hg.), Erzählte Gestalttherapie, Wuppertal 2003; Bertram Müller, Isadore Froms Beitrag zur Theorie und Praxis der Gestalttherapie, in: Gestalttherapie 2/1993; Daniel Rosenblatt, Erinnerungen an Isadore From, in: Gestaltkritik 2/1995; Michael Vincent Miller, Isadore From – ein Nachruf, in: Gestaltkritik 1/2002. Siehe auch: Aggression; Konfluenz; Kontakt; Perls, Laura; Projektion; Retroflektion; Traum © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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