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Stichwort: Existenzieller Augenblick Leseprobe in
voller Länge aus dem Begriff von Len Bergantino, um das Echte, Authentische, Natürliche, Ursprüngliche, Ungefilterte zu benennen, das in der Therapie zwischen Therapeuten und Klienten entstehen kann. Es geht hier um die heilsame seelische Berührung zwischen Menschen, ähnlich wie bei Martin Bubers Begriff des »Zwischen«. Aber ist Therapie nicht eine eher künstliche Situation, die nichts mit dem Alltag, dem normalen Leben zu tun hat? Tatsächlich ist das therapeutische Setting eine künstliche Situation. Sie ist genauso künstlich wie unsere gesamte Umwelt – sowohl in der positiven Hinsicht, dass wir vieles im Griff haben, was unsere Vorfahren noch erleiden mussten, als auch in der negativen Hinsicht, dass uns Ursprünglichkeit und Authentizität durch Technik, Planung und Rationalität verloren gehen. Auch in der Therapie hat die Künstlichkeit der Situation positive und negative Aspekte: Ein negativer Aspekt ist zweifellos, dass achtungsvolle Zuwendung, hilfreiche Unterstützung und wohlwollende Kritik im menschlichen Miteinander natürlicher Bestandteil der Beziehungen sein sollten, in der Therapie aber (weil oder jedenfalls wenn es so nicht klappt) erkauft werden müssen. Gleichwohl gibt es auch positive Aspekte. Dazu gehört, dass in einer Welt, in der sehr wenig Toleranz Fehlern oder Schwächen gegenüber gezeigt wird, die Therapie einen Fluchtraum bietet, in welchem auch experimentiert und ausprobiert werden kann. Wer sich ändern möchte, kann es in der Therapie erst einmal versuchsweise tun, um zu sehen, ob das neue Verhalten zu ihm passt und wie es bei Mitmenschen ankommt. Nicht alles in der Therapie ist künstlich. Künstlichkeit ist eher eine Nebensache. Die Hauptsache: Wer in der Therapie lernt, seinen Gefühlen und Gedanken Flügel zu verleihen, der äußert echte Gefühle wie z.B. Wut, Trauer, Schmerz, Wohlwollen, Mitgefühl, Freude usw., sowie echte Gedanken wie beispielsweise Einsichten in die Struktur seines Lebens, eine Struktur, die er ändern kann. Die Künstlichkeit der therapeutischen Situation wird überwunden, wenn im »Zwischen« des Therapeuten und des Klienten authentische Gefühle zum Tragen kommen, die existentielle Bedeutung gewinnen. Zu einem existenziellen Augenblick kann es in der Therapie jedoch nur kommen, wenn der Therapeut es sich erlaubt, ganz als Mensch anwesend zu sein. Solange er sich nur bemüht, eine (professionelle) Rolle zu spielen und strikt seinen Methoden zu folgen, kann er zwar durchaus gewisse Erfolge erzielen, nicht aber eine »heilende Berührung« zulassen. Ein solcher Therapeut wird sich dagegen wehren, wenn ein existenzieller Augenblick »droht«, der ihn – über die Professionalität hinausgehend – als Mensch berührt. Darum legt die Gestalttherapie so großen Wert darauf, dass der Therapeut dem Klienten offen sagt, was er selbst erlebt, fühlt, denkt. Wie sollte sich auch der Klient sich selbst, den Mitmenschen und der Welt gegenüber öffnen können, wenn er als Vorbild einen Therapeuten hat, der mit ihm nur taktisch, strategisch oder methodisch spricht? Literatur: Len Bergantino, Wie heilt Psychotherapie? (1986), Köln 1992. Siehe auch: Achtsamkeit; Buber, Martin; Haltung; Würdigung © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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