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Stichwort: Polster, Erving und Miriam Leseprobe in
voller Länge aus dem Lebensdaten: Erving (1922) und seine Frau Miriam Polster (1924-2001) zählen zu den bekanntesten Gestalttherapeuten der Welt. Vor gut drei Jahrzehnten veröffentlichten sie ihr Grundlagenwerk »Gestalttherapie: Theorie und Praxis der integrativen Gestalttherapie« (erweiterte Neuauflage in der Edition des Gestalt-Instituts Köln/GIK Bildungswerkstatt im Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2001) und schon weit länger waren sie als Ausbilder tätig. Sie gehörten zur ersten »Studiengruppe« außerhalb von New York City. Aus dieser Gruppe ging das »Gestalt Institute of Cleveland« hervor. Dort wirkten sie als Ausbilder mit. Nachdem sie fast zwanzig Jahre lang in Cleveland gearbeitet und gelehrt hatten, gingen die Polsters nach Kalifornien und gründeten dort das »Gestalt Training Center« in San Diego. Neben ihren eigenen, regelmäßig stattfindenden Ausbildungsprogrammen leiteten sie auch Ausbildungsworkshops und Seminare für andere Institute in Amerika und auf der ganzen Welt. Aus ihrer therapeutischen Arbeit und ihrer Lehrtätigkeit sind eine Vielzahl von Publikationen hervorgegangen, die zum großen Teil schon zu Klassikern der Gestalttherapie geworden sind (»Das Herz der Gestalttherapie: Beiträge aus vier Jahrzehnten«, Wuppertal 2002). Seit über 40 Jahren haben Erving und Miriam Polster Gestalttherapeutinnen und Gestalttherapeuten aus vielen Ländern ausgebildet und auf ihre besondere Weise geprägt: Immer wieder betonen sie, dass es Wohlwollen und Achtung der Therapeutinnen und Therapeuten sind, die es den Klientinnen und Klienten in der Gestalttherapie ermöglichen, sich angstfrei neuen Erfahrungen zu öffnen. Was die therapeutische Arbeit von Miriam und Erving auszeichnet, ist die Verwandlung des Gewöhnlichen in das Bemerkenswerte, gleichsam eine Heiligung des Alltäglichen. Sie sind brillante Praktiker und Theoretiker der Gestalttherapie. Bei ihnen ist Therapie wie ein »leichter Tanz« mit dem Klienten, wer dabei führt, das wechselt immer wieder. Weitere Veröffentlichungen: Erving Polster, Jedes Menschen Leben ist einen Roman Wert, Köln 1987; und Miriam Polster, Evas Töchter: Frauen als heimliche Heldinnen, Köln 1994. Rich Hycner: »Als ich Erv und Miriam fragte, was für sie die eigentliche Quelle der Heilung in der Therapie sei, erhielt ich eine verblüffende Antwort: ›Ausstrahlung!‹ Sie erläuterten, was sie damit meinten und beschrieben die Fähigkeit des Therapeuten zu locken, zu nähren und keine Angst vor der häufig unterdrückten natürlichen Ausstrahlung des Klienten zu haben. Hierzu gaben sie einige Beispiele, und was dabei wieder einmal deutlich wurde, war ihre praktisch unerschöpfliche Wertschätzung der Erfahrung eines anderen Menschen. Es war klar, dass die Ausstrahlung, von der sie sprachen, zwischen ihnen und dem Klienten entstand. Beide sprachen über die unentbehrliche Notwendigkeit des Therapeuten, unschuldig sein zu können, um eine solche Wertschätzung empfinden zu können. Vor allem Erv, der schon früher die Fähigkeit des Therapeuten, sich zu »interessieren« und sich ›faszinieren‹ zu lassen, hervorhob, sieht hier eine Verbindung. Das betrifft zum einen die Beziehung zwischen dem Therapeuten und seinem Klienten, es lehrt den Klienten aber auch, für sein eigenes Erleben echtes Interesse und Faszination zu entwickeln. Der Mangel an solchem ›Interesse‹ führt zu Abstumpfung« (Rich Hycner, in: A. u. E. Doubrawa [Hg.], Erzählte Geschichte der Gestalttherapie, S. 220). Stephen Schoen: »Ich möchte noch ein paar Worte zu ihrer menschlichen Eigenart sagen, zu ihrer Offenheit, Wärme, ihrem Humor und der Fähigkeit, sich mit der Lebendigkeit ihres Gegenübers zu verbinden, was dazu führt, dass der andere die durch Fixierungen und Abwehrmechanismen gekennzeichnete Rolle des ›Klienten› mehr und mehr verlässt und als Mensch mit der ihm eigenen, unergründlichen Würde sichtbar wird. Natürlich bedarf es zur therapeutischen Wirksamkeit auch einer konzeptuellen Orientierung und technischer Fähigkeiten, aber meines Erachtens ist hier nichts so entscheidend wie die Persönlichkeit des Therapeuten, der deutlich macht, was es heißt, in der Therapie einem suchenden Gegenüber als Mensch zu begegnen und seinem oder ihrem Leben eine neue Bestimmung zu geben. Erv und Miriam Polster rufen in ihren Klienten ein großes Maß an Selbstakzeptanz hervor, und dies vor allem indem sie diese Selbstakzeptanz sich selbst entgegenbringen. Der irische Dichter William Butler Yeats hat einmal gesagt: ›Man beginnt erst zu leben, wenn man gelernt hat, das Leben als Tragödie zu verstehen.‹ Man spürt, dass Erv und Miriam Polster die Bedeutung dieses Satzes erfassen, ohne jedoch dadurch gefesselt oder gebunden zu sein. Sie sind wie Bergführer, die ihre Klienten durch das Unterholz und die engen, verwachsenen Stellen ihres Lebens führen, durch rauhe Wetterlagen, in denen es nicht mehr weitergeht, durch steile Gegenden, wo man sehr langsam gehen muss, und währenddessen halten sie immer wieder nach neuen Wegen und Pfaden Ausschau, nach neuen und weiteren Räumen und Möglichkeiten. Oder, um es mit Miriams eigenen Worten zu sagen (das war vor einigen Jahren auf einer Gestalt-Konferenz in Boston): ›Ich achte die dunklen und trostlosen Orte, aus denen heraus Menschen sprechen, die in schrecklichen und unerbittlichen Depressionen gefangen sind. Ich empfinde Mitgefühl für sie, und ich kann mich auf das, was sie mit mir teilen wollen, einlassen. Aber …‹, sie machte eine Pause, ›… ich lebe nicht dort.‹ Da ist es: ihre Anerkennung, ihre Akzeptanz dieses tragischen Verlorenseins in der Depression, und gleichzeitig dieser einnehmende, fast kokette Teil, den sie unausgesprochen lässt: ›Rate mal, wo ich lebe‹« (Stephen Schoen, Ent-bindung: Das spirituelle Vermächtnis von E. u. M. Polster, in: Gestaltkritik 1/2001). Siehe auch: Deflektion © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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