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Stichwort: Jung, Carl Gustav Leseprobe in
voller Länge aus dem Lebensdaten: Geboren in Kesseil 1875, gestorben Küsnacht 1961. Schweizer Psychiater. Zunächst ein Anhänger Sigmund Freuds, aber 1912 kam es zum Bruch und Jung nannte seine Richtung zur Unterscheidung »analytische Psychologie«. Jung kritisierte den Begriff des Unbewussten bei Freud, der sich auf ein rein negativ zu bewertendes Phänomen bezieht, das durch Verdrängung entsteht. Dagegen formulierte Jung eine Lehre vom Unbewussten, das eine schöpferische und menschheitsgeschichtliche Dimension hat. Im (kollektiven) Unbewussten werden die »Archetypen« aufbewahrt. Eine weitere Besonderheit der Jung’schen Psychologie ist eine Typenlehre, bei der die Individuen grundlegenden typisierten Präferenzen zugeordnet werden. Die Präferenzen sind jeweils als Polaritäten angelegt (z.B. »Extraversion versus Introversion«). Die Präferenzen werden weder erbbiologisch noch milieutheoretisch erklärt (eine Erklärung für ihren Ursprung verweigert Jung ausdrücklich). Miriam Polster: »Von […] wichtigem Einfluss auf [Fritz] Perls’ sich entwickelnde Erfahrung war C.G. Jung. Mystisch, fast poetisch in seinem Entwurf des Kampfes um Individuation, vertraute Jung dem menschlichen Drang nach Ausdruck. Dadurch unterschied er sich von Freud in seiner Haltung gegenüber den Träumen der Patienten. Freud sah im Traum einen Versuch unbewussten Materials, zu entkommen und zu dominieren. In diesem Kampf des Verdrängten gegen die Zensur war der Traum ein Schlachtfeld für Tarnung, Vermeidung und Verzerrung. Jung hingegen betrachtete den Traum als kreatives Bemühen, das Dilemma von Widersprüchlichkeit, Komplexität und Verwirrung, mit dem die Träumenden im Traum rangen, möglichst umfassend auszudrücken. Der Traum war nicht ein Versuch, etwas zu verstecken, sondern vielmehr etwas auszudrücken. Er war ein kreativer Drang, der sich auf geschickte Weise symbolischer Repräsentationen bedeutender Aspekte im Leben der Träumenden bediente. Sein Ziel war Lösung und Integration. Darüber hinaus betrachtete Jung jedes Element des Traumes als einen Teil des Träumenden, und jede Individuation erforderte demnach die Wiederaneignung dieser projizierten Qualitäten. [Fritz] Perls erweiterte Jungs Auffassung vom Traum als Projektion, indem er die Träumenden Teile ihres Traumes spielen ließ, um dadurch zurückzugewinnen, was sie vorher verleugnet hatten. Über das Verständnis des Traumes als Wiederaneignung projizierter Anteile des Selbst hinaus, begreift Gestalttherapie den Traum auch als Setting, um mit anderen in Kontakt zu kommen […]. Eine andere Annahme Jungs, die für die Gestalttherapie relevant ist, war sein Verständnis der Polaritäten, die der menschlichen Natur inhärent sind. Er entwarf diese Dualitäten als archetypische Charaktere wie Anima und Animus oder als Konzept des Schattens – des dunklen und unvermeidlichen Begleiters der öffentlichen Persona. Otto Rank wurde durch Jungs Konzept der Polaritäten beeinflusst, und durch seine Arbeit wiederum wurde Perls’ Interesse daran geweckt. Perls’ Genialität, das auszubauen, was er von anderen lernte, führte ihn dazu, die Energie, die in diesem Kampf der Pole gebunden ist, wahrzunehmen und eine Methodologie zu entwerfen – den Gebrauch des Dialogs und des leeren Stuhls –, um diese Energie freizusetzen und in den praktischen Dienst des leidenden Individuums zu stellen. Perls’ Charakterisierung des ›Topdog/Underdog‹ kann als eine dynamischere Neufassung von Jungs ›Schatten versus Persona‹ verstanden werden. Der Kampf zwischen Topdog und Underdog weist oft auch Ähnlichkeit mit dem Zusammenstoß von Es und Über-Ich auf. Underdog steht für den Groll, den Widerwillen und den zerstörerischen Drang der nicht respektierten oder missachteten Anteile einer Person. Die belebende Einführung des Dialogs zwischen diesen sich bekriegenden Anteilen der Person enthüllt, wie der Underdog (zer)stört: durch Verwirrung, Pseudodummheit, Faulheit oder einfach durch Feindseligkeit. Der Dialog eröffnet eine neue Ebene des Respekts und Verständnisses, auf der der kräftezehrende Konflikt aufgelöst werden kann« (Miriam Polster, Theorie und Praxis der Gestalttherapie, 1991, in: Erving und Miriam Polster, Das Herz der Gestalttherapie, 1999, S. 102f). Siehe auch: Projektion; Rank, Otto; Topdog; Traum © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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