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Stichwort: Friedlaender, Salomo Leseprobe in
voller Länge aus dem Lebensdaten: Geboren Golancz 1871, gestorben Paris 1946. An Immanuel Kant orientierter Philosoph und unter dem Pseudonym Mynona ein humoristischer Schriftsteller. Hauptwerke: Logik: Die Lehre vom Denken (1907), Psychologie: Die Lehre von der Seele (1907), Friedrich Nietzsche (1911), Schöpferische Indifferenz (1918), Kant für Kinder: Fragelehrbuch zum sittlichen Unterricht (1924). Sowie zahlreiche Grotesken unter dem Pseudonym »Mynona«. Bedeutung für die Gestalttherapie: Fritz Perls hat sich zu keinem Autor so vorbehaltlos bekannt wie zu Friedlaender. Diese Verehrung zog sich von »Das Ich, der Hunger und die Aggression« (1944) bis in die späten Jahre bruchlos durch. Sie betrifft ausschließlich das Werk »Schöpferische Indifferenz«. Friedlaender geht darin von einer einleuchtenden Überlegung aus, die mit der der Gestaltpsychologen übereinstimmt: Man kann nur das wahrnehmen, was sich unterscheidet. Der Unterschied, der etwas zu einem wahrnehmbaren Phänomen macht, ist die »Differenz«. Durch die Differenz ergibt sich eine »polare Struktur«: Das, was wir wahrnehmen, wird durch den Unterschied zu dem, wovon es sich abhebt, zu einem Gegensatz. Die Gegensätze sind jedoch aufeinander bezogen, bilden also zwei Pole. Während sich die Gestaltpsychologen nun jedoch mit dem Prozess der Wahrnehmung, also mit dem der Differenzierung, beschäftigen, interessierte sich Friedlaender für die Mitte zwischen den differenzierten Polen. Diese Mitte nannte er »Indifferenz«. Zunächst scheint es so, als sei die Indifferenz nichts als der uninteressante Hintergrund, von dem sich die interessante Figur abhebt. Friedlaender sah es anders. Denn nur in der Mitte zwischen den Polen hat man die Möglichkeit, sich dem Ganzen jenseits der Unterschiede zuzuwenden. Darum ist die Indifferenz (Perls schlägt 1944 den Begriff »Prä-Differenz« vor, S. 23) nicht langweilig, sondern »schöpferisch«. »Die elementare Denkkonzeption Friedlaenders, Indifferenz und polare Differenzierung, kommt bei Fritz Perls in unterschiedlicher Wortgestalt zur Geltung wie z.B. Mitte, Zentrum, Nullpunkt, Nichts, Leere, Prä-Differenz, Gleichgewicht, Balance, Zentrierung, Gegensätze, Pole, Polarisieren. Wenn man genauer hinsieht, lässt sich bei diesen Begriffen meist unschwer die Grundstruktur von Friedlaenders Philosophieren ausmachen« (Ludwig Frambach, Schöpferische Indifferenz: Die Philosophie von Salomo Friedlaender, in: Fuhr u.a. [Hg.], Handbuch der Gestalttherapie, Göttingen 2001, S. 302). Auch dass Fritz Perls das »Integrieren« oder die »Integration« der verschiedenen abgespaltenen Teile des Selbst zum Zentrum seiner therapeutischen Arbeit gemacht hat, kann wohl als Umsetzung des Konzeptes von Friedlaender gedeutet werden. Bezieht man die »schöpferische Indifferenz« auf den Figur/Grund-Prozess, so kann man die gestalttherapeutische Forderung nach Flexibilität (Vermeiden von Fixierungen) darin veranschaulichen: Von der Figur zum Grund und vom Grund zur Figur werden lassen kann man Dinge nur dann flexibel und in einer den Umständen angemessenen Weise, wenn man aus dem »Nullpunkt«, aus der »Prä-Differenzierung«, eben aus der »schöpferischen Indifferenz« heraus handelt. Es wäre ein Missverständnis zu meinen, es ginge darum, den Nullpunkt der Indifferenz zu bewahren: Die »Indifferenz ist dem Moment schöpferisch [und nicht distanziert-uninteressiert], wo die Differenzierung beginnt« (Fritz Perls, Gestalt-Wahrnehmung [1969], S. 108). An einer anderen Stelle jedoch klingt es so, als stelle der Nullpunkt das Ideal dar: »Ich hasse den allgemein anerkannten Gebrauch des Wortes ›normal‹ als Bezeichnung für den Punkt schöpferischer Indifferenz. Es wird viel zu oft für den Durchschnitt und nicht für den Punkt optimaler Funktion verwendet. Ich hasse den allgemein anerkannten Gebrauch des Wortes ›perfekt‹ für den Punkt schöpferischer Indifferenz. Es riecht nach Errungenschaft und Lob. Ich liebe den Gebrauch ›Zentrum‹. Es ist das Schwarze in der Mitte der Zielscheibe. Ein Ziel, das der Pfeil immer trifft« (Fritz Perls in: ebd., S. 108). Polaritäten bei den Kontaktstörungen: Die Weiterentwicklung bei dem Konzept der Kontaktstörungen (Deflektion, Introjektion, Konfluenz, Projektion, Retroflektion) im »Gestalttypen-Indikator« (GTI) setzt an Salomo Friedlaenders Denkmodell der Polaritäten und des Indifferenzpunktes ein: Jede Störung, Hemmung oder Einschränkung des Kontaktes kann sowohl hinderlich als auch notwendig sein. So entsteht eine Polarität zwischen einem zu stark gehemmtem Kontakt und einem zu wenig gehemmtem Kontakt, während die das Wachstum fördernde Verhaltensweise am Null- bzw. Indifferenzpunkt stattfindet. Literatur: Frambach, Ludwig, Schöpferische Indifferenz: Die Philosophie von Salomo Friedlaender, in: Handbuch der Gestalttherapie, Göttingen 2001; Perls, Fritz, Das Ich, der Hunger und die Aggression (1944), Stuttgart 1978. Siehe auch: Figur/Grund-Prozess; Gestaltpsychologie; GTI; Kontaktstörungen © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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