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Stichwort: Freud, Sigmund Leseprobe in
voller Länge aus dem Lebensdaten: Geboren in Freiberg (Österreich) 1856, gestorben im Londoner Exil 1939. Als Nervenarzt widmete er sich seelischen »Erkrankungen« ohne erkennbare organische Ursache, die »Hysterien« genannt wurden, und entwickelte gegenüber den damaligen unzureichenden Behandlungversuchen mit Suggestion und Hypnose die Methode der Psychoanalyse. Damit ist er der Begründer der Psychotherapie überhaupt. Hauptwerke: Die Traumdeutung, 1900; Totem und Tabu, 1913; Das Unbehagen in der Kultur, 1930. Lehre: Die seelischen Probleme entstehen nach der von Freud ursprünglich entwickelten Lehre durch die Entwicklungsgeschichte des Individuums. Die Analyse dieser psychischen Entwicklung bzw. der Auswirkungen der Entwicklung auf die Psyche, eben die Psychoanalyse, deckt auf, wo die Entwicklung fehlgelaufen ist und korrigiert diese Fehlentwicklung durch Bewusstmachung und Einsicht. Die Fehlentwicklungen sind nicht zufällig, sondern folgen einem präzisen Schema. Das Kind ist zunächst ganz und gar im Lustprinzip befangen. Alle aufkommenden Bedürfnisse werden unmittelbar geäußert und verlangen nach sofortiger Befriedigung. Die Bedürfnisse führt Freud auf den Trieb zurück; der Wunsch nach Befriedigung ist die Triebenergie, auch »Libido« genannt. Die Triebenergie ist gleichzusetzen mit Sexualität. Die Nahrungsaufnahme beim Säugling entspringt dem Wunsch nach Symbiose mit der Mutter. (Später fügte Freud dem Sexual- bzw. Lebenstrieb der Libido eine zweite, entgegengesetzte Triebenergie, nämlich den »Thanatos« oder Todestrieb hinzu; siehe dort.) Aufgrund der natürlichen Lebensumstände, aber auch infolge von gesellschaftlichen Normen wird die Triebbefriedigung oft versagt oder verzögert (»Frustration«, »Repression«). Um nicht in einem ständigen, zermürbenden Konflikt zu geraten, den das Kind wegen seiner Schwäche nie gewinnen könnte, muss es seine Bedürfnisse verdrängen (»Realitätsprinzip«). Das Verdrängte bildet das Unbewusste (»Es«), die Kontrolle der Handlungen übernimmt das Bewusstsein (»Ich« oder »Ego«), während die Regeln, die zur Triebversagung führen, als Zensor über die Einhaltung wachen (»Über-Ich«, introjizierte Autorität). Psychische Probleme können sowohl einer nicht gelungenen Verdrängung (ein solcher unangepasster Mensch verhält sich a-sozial; »Psychose«) als auch einer übertrieben gelungenen Verdrängung entspringen (ein solcher angepasster Mensch ist gehemmt und bildet eventuell psychosomatische Krankheiten heraus; »Neurose«). Eine besonders einschneidende Triebversagung ereignet sich in der Entwicklung des Kindes, wenn es sich (angeblich) unvermeidlicherweise in den gegengeschlechtlichen Elternteil verliebt und in Konkurrenz mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil gerät (Ödipus-Komplex). Das Inzesttabu nannte Freud die schlimmste Wunde, die sich die Menschheit zugefügt hätte. Die Kritik von der Gestalttherapie: Die hauptsächliche Kritik im Buch »Gestalttherapie« (1951) von Perls, Hefferline, Goodman richtete sich gegen Freuds Auffassung eines »Ego«, das aufgrund von sozialer Unterdrückung (»Repression«) zustande gekommen sei. Dies sei die Auffassung eines »Ego«, dem keine eigene positive schöpferische Funktion zugeschrieben werde. Gleichwohl ist nach Freud die Unterdrückung notwendig, um die zerstörerischen Triebe, das Es, im Zaum zu halten. Für die Psychotherapie bedeutet Freuds Auffassung: Es werden individuelle Fehlanpassungen korrigiert, und zwar indem die Geschichte des »Ego«, d.h. die »Repressionsgeschichte«, nachverfolgt wird. Durch die »Aufarbeitung« dieser Geschichte (»Psycho-Analyse«) gelange man an den Punkt, an welchem sich die krankmachenden Wirkungen der Unterdrückung zeige. Die Gestalttherapie setzt gegen Freuds Auffassung die Konzeption eines schöpferischen »Ich« (oder »Ego«) – dann meist »Selbst« genannt –, das im Anpassungsprozess eine aktive Rolle spielt. Die Unterdrückung verstellt der schöpferischen Tätigkeit des Selbst die Möglichkeit, gesunde Ergebnisse hervorzubringen. Die Unterdrückung zerstört dabei nicht das schöpferische Potenzial des Selbst. Nicht die »Geschichte der Repression« ist von Bedeutung, sondern die Aktualität der Unterdrückung. Psychotherapie muss in dieser Konzeption 1. vor allem die Gegenwärtigkeit, nicht die Biografie des Selbst in den Blick nehmen (bzw. die Biografie nur insoweit behandeln, als sie eine aktuelle Bedeutung hat, z.B. wenn traumatische Erinnerungen gegenwärtige Gefühle auslösen) und 2. vor allem gesellschaftliche Veränderungen anstreben, nämlich Unterdrückung abbauen (bzw. den Klienten dazu anregen, seine Lebenssituation zu verbessern). Perls, Hefferline, Goodman kritisieren in »Gestalttherapie« (1951) überdies Psychoanalytiker, die Freud in einem Punkt korrigieren, ohne damit den grundlegenden Fehler in seiner Konzeption zu überwinden. Diese »revisionistischen« Freudianer (genannt werden Erich Fromm und Karen Horney) sähen das Es oder Unbewusste als das Ergebnis sozialer Unterdrückung an. Die Unterdrückung, durch die das Es »geschaffen« wird, bestünde dieser Auffassung zufolge in einer irrationalen gesellschaftlichen Ordnung (z.B. Faschismus). Die rationale Einrichtung der sozialen Verhältnisse (damit meinen die von Perls, Hefferline, Goodman kritisierten Autoren die Demokratie) könnte dann gleichsam ein »Ego ohne Unbewusstes«, also ohne Es hervorbringen. Diese rationalistische Freud-Version übersieht nach der gestalttherapeutischen Auffassung folgendes: Das Ego bedarf für seine verantwortliche und schöpferische Tätigkeit eines Inhalts. Das Ego bringt diesen Inhalt nicht aus sich selbst hervor. Der Inhalt stammt vielmehr aus dem Unbewussten, dem Es. Das Es kann nicht – (wie diese Freudianer zu fordern scheinen) – beseitigt werden. Die Unterbrechung der Kommunikation zwischen Ego und Es ist die Technik neuzeitlicher Unterdrückung schlechthin. Die Folge davon ist ein leeres Ego und ein unbefriedigtes Es: Das ist eine gefährliche Konstellation, aus der heraus die Gestalttherapie den modernen Massenvernichtungskrieg erklärt. Neben der Frage, wie »Ego« und »Es« zustandekommen, beschäftigte Perls, Hefferline, Goodman auch, ob es eine so scharfe Spaltung in »unbewusst« und »bewusst« gäbe, wie Freud meinte. Sie setzten gegen die Starrheit dieser Trennung das Modell des Figur/Grund-Prozesses, bei dem das Unbewusste den Hintergrund ausmacht, auf dem sich das Bewusste als Figur abhebt. Solange flexibel aus dem Hintergrund das zur Figur gemacht werden kann, was von Belang ist, ist der Prozess in Ordnung. Die starre und fixierte Trennung von unbewusst und bewusst ist nach Perls, Hefferline, Goodman nicht eine objektive Notwendigkeit des Seelenlebens, sondern bereits Ausdruck von dessen Verformung. Siehe auch: Es; Ego; Figur/ Grund-Prozess; Gegenwart; Neurose; Psychoanalyse; Selbst; Todestrieb; Über-Ich; Unbewusstes © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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