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Stichwort: Widerstand Leseprobe in
voller Länge aus dem Etymologie: Das Wort »wider« ist synonym mit »gegen«, sodass »Widerstand« usprünglich das Gleiche bedeutete wie »Gegenstand«, nämlich »Entgegenstehendes« oder »Hemmendes«. »Gegenstand« ist im Laufe des 18. Jahrhunderts als eine Eindeutschung für »Objekt« gebräuchlich geworden, während »Widerstand« den ursprünglichen Sinn behielt. Bedeutung für die Psychotherapie: In der Psychoanalyse bezeichnet »Widerstand« oder »Abwehr« vor allem die Verweigerung gegenüber dem Arbeitssetting (freie Assoziation des Klienten und Deutung durch den Therapeuten). Die psychoanalytische Frage lautet, wie der Therapeut den Widerstand des Klienten überwinden bzw. sogar brechen kann; die gestalttherapeutische Frage lautet, ob (bzw. wann und unter welchen Bedingungen) der Therapeut den Widerstand des Klienten überhaupt auflösen darf. Alternativ gebrauchte Ausdrücke sind »Abwehrmechanismus« (in der Psychoanalyse), »Kontaktstörung« und »Kontaktunterbrechung« (in der Gestalttherapie). Gordon Wheeler hat 1991 (»Kontakt und Widerstand«) die gestalttherapeutische Theorie des Widerstandes in eine erste systematische Form gebracht. Wheelers wichtigste Einsicht besteht darin, dass er klar herausarbeitete, es gäbe nicht nur zu viel, sondern auch zu wenig Widerstand (S. 125). Widerstand bedeutet nach Wheeler nicht allgemeiner Widerstand gegen Kontakt überhaupt, sondern gegen bestimmte Kontaktangebote bzw. gegen Kontaktzwänge, die der Handelnde als schädlich für sich empfindet. Damit ist Widerstand eine gesunde, wachstumsfördernde Haltung, die sehr notwendig ist für die flexible, selbstbestimmte Figur/ Grund-Bildung. Letztlich führt diese Konzeption des Widerstandes zu einer Sichtweise der Kontaktstörungen, die auf Polaritäten aufbaut: Es gibt zu viel oder zu wenig z.B. an Konfluenz, während die wachstumsfördernde Haltung im »mittleren Modus« (Nullpunkt oder Indifferenzpunkt nach Friedlaender) sich befindet, so wie das in der vom GTI-Modell modifizierten Gestaltwelle und der Polaritäten der Kontaktstörungen beschrieben wird. E. u. M. Polster: »Das Problematische an der Idee des Widerstands ist die Annahme, dass der Widerstand erstens dem eigentlichen Interesse zuwider läuft, und zweitens seine Auflösung – analog der Bekämpfung eines Grippevirus – zu einer gesunden Funktionsweise führen müsste. Doch einen psychologischen Aderlass für den kranken Organismus gibt es nicht, denn was als Widerstand bezeichnet wird, ist Teil des eigenen Verhaltens, und kein Fremdkörper. Erst durch die Wiedereinbindung der mit diesem Verhalten verknüpften und entfremdeten Energie kann das Funktionsspektrum des Individuums erweitert werden. […] Wenn eine Therapie Ausdruck nicht als Widerstand, sondern als Kreativität betrachtet, wie kann dann der innere Konflikt zwischen zwei gleichermaßen respektierten Anteilen eines Menschen zur Schließung kommen? Kein Bedürfnis des Menschen existiert für sich allein, es gibt immer auch seinen Gegenpart. Und die Kombination aus beiden wird nur selten friedlich erreicht« (Erving und Miriam Polster, Therapie ohne Widerstand – Gestalttherapie, 1976, in: dies., Das Herz der Gestalttherapie, S. 126/129f). Kristine Schneider: »Widerstand ist für die Gestalttherapie Signal. Weigerung oder hartnäckiges Ausweichen gegenüber den Angeboten des Therapeuten signalisiert: ›Bis hierher und nicht weiter!‹ Wie wir dieses Signal zu beantworten haben, ist abhängig von unserem Verständnis seiner Bedeutung. Zu welchen Hypothesen greifen wir, wenn es auftaucht? Ist Widerstand notwendig und unvermeidlich? Verbindet sich die Diagnose Widerstand mit Implikationen, etwa der Forderung an den Klienten, sich anders zu verhalten? Inwiefern ist Widerstand mehr als die schlichte Feststellung, dass ein Klient stecken bleibt? Per definitionem beschäftigt sich Therapie mit Menschen, die sich oder die Umwelt ändern wollen. Trotz der erklärten Veränderungsabsicht hat sie beständig mit Widerstand gegen ihre Angebote zur Veränderung zu rechnen auch bei größtem Geschick und kluger strategischer Planung. […] Wir nähern uns dem Phänomen von verschiedenen Seiten. Vom Überlebensbedürfnis aus gesehen, stellt Widerstand sich als Schutzmaßnahme gegen Bedrohung dar, von der Gestalttheorie aus gesehen als die bestmögliche Handlungsgestalt, um ein subjektiv gegebenes Problem zu lösen. Berücksichtigen wir die Information aus dem Gesamtkontext Sprache und Körpersprache, tritt eine die Awareness des Klienten übersteigende Bedeutung in den Vordergrund. Interaktional gesehen, bildet Widerstand Übergangsmoment im Austausch von Mitteilungen, er ist Antwort auf Stimulation von außen. Diesen Gesichtspunkten fügen sich zwei weitere an, der phänomenologische, unter dem er als Ausweichen vor dem Offensichtlichen, und der psychodynamische, unter dem er als Blockierung im Prozess hervortritt. […] Widerstand des Therapeuten. Widerstand ist ein Konzept sozialer Interaktion, und sich zu sträuben, ist deshalb nicht Privileg einer einzelnen Person. Bisher haben wir ausschließlich vom Klienten gesprochen, doch ist damit zu rechnen, dass im Therapeuten, wenn nur die Situation danach ist, sich Ähnliches abspielt. Ich möchte ein paar Gedanken auf meinen eigenen Widerstand als Therapeut verwenden. Natürlich weiß ich, wie ich mich nach den Regeln meiner Kunst zu verhalten habe. Beispielsweise soll ich mich in allen meinen Regungen akzeptieren und zu gleicher Zeit den andern nicht unnötig dadurch verletzen, dass ich sie ungehemmt auslebe. Bei allem Respekt für das eigene Erleben, wenn ich ihn übertreibe, berücksichtige ich nicht die ebenfalls richtige subjektive Position des Klienten und ich renne mich fest. Wir Therapeuten sind leicht irritierbar, wenn unsere Werte, unsere eigenen Selbstverständlichkeiten angesprochen und infrage gestellt werden […]. Wie leicht geraten wir in Opposition und beeinträchtigen uns im Mitgehen« (Kristine Schneider, Willkommen Widerstand, in: Gestaltkritik 2/2002). Siehe auch: Deflektion; Friedlaender, Salomo; Introjektion; Konfluenz; Kontaktstörungen; mittlerer Modus; Projektion; Retroflektion © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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