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Stichwort: Gestalt-Gruppentherapie Leseprobe in
voller Länge aus dem Gestalttherapie war zunächst als Einzeltherapie gedacht. Der erste Ansatz, mit einer Gruppe zu arbeiten, ergab sich in dem Ausbildungs-Setting. Menschen, die in Gestalttherapie ausgebildet werden wollten, sollten zuerst auch selbst Erfahrungen in der Klientenrolle machen, ohne (wie damals in der Psychoanalyse üblich) ausschließlich auf die Lehranalyse verwiesen zu sein. Aus dieser Überlegung heraus entwickelte sich eine bestimmte Form der Gruppenarbeit, die »Einzelarbeit vor der Gruppe« zum Zwecke der Demonstration. Die im Moment nicht »arbeitenden« Gruppenmitglieder begleiteten die Arbeit des »arbeitenden« Gruppenmitglieds beobachtend und stützen die Arbeit mit ihrer Präsenz. Nach Abschluss des therapeutischen Prozesses hatten sie Gelegenheit, Fragen zu stellen, Feedback zu geben, Kommentare zu machen usw. – nicht selten entstand daraus ein neuer Einzelprozess vor der Gruppe. Impulse dazu, die Ausbildung in Gruppenform vorzunehmen, mögen auch gewesen sein, dass die Begründer der Gestalttherapie sich am Ideal der Gemeinschaft orientierten (siehe Stichwort Martin Buber), dass sie sich mit der Gruppenpsychotherapie von Moreno auseinandergesetzt hatten und dass Fritz Perls besonders in den 1960er Jahren nach einem Vorgehen suchte, in kurzer Zeit kostengünstig viele mit der Gestalttherapie vertraut machen zu können. Die Form gestalttherapeutischer Gruppenarbeit, die die Trainees in ihrer Ausbildung kennen lernten, übernahmen sie dann oft auch in die eigene Arbeit mit Klienten. Bis heute wird sie in Gestalt-Gruppen angewendet. Weiterentwickelt wurde die Gestalt-Gruppenarbeit u.a. aus der Absicht heraus, die Aufmerksamkeit auf die Prozesse der Gruppe untereinander oder mit dem Leiter zu lenken. Konflikte zwischen den Teilnehmern (und den Teilnehmern und dem Leiter bzw. den Leitern) tauchten auf – für den Gruppentherapeuten nicht nur eine nicht zu vermeidende, sondern sogar eine durchaus gewollte Situation. Der konstruktive Umgang mit der Aggression ist schließlich eines der zentralen Themen für die Gestalttherapie. In einer ersten Phase dieser Entwicklung wurden die Gruppenteilnehmer aufgefordert, sich zu den Konflikten in der Gruppe zu äußern und diese während der Gruppensitzungen untereinander auszutragen. In dieser ersten Phase der Gestalt-Gruppenarbeit stand der (Selbst-) Ausdruck der Teilnehmer im Vordergrund der therapeutischen Arbeit. Menschen, die gewohnt waren, von sich als »man« und »wir« zu sprechen (und sich häufig so auch erlebten – nämlich nicht als Individuen), lernten nun, ihren eigenen Wahrnehmungen zu trauen und diese auch zu äußern (wie auch ihre Bedürfnisse, ihre Meinungen usw.). Mitteilen war hier der höchste Wert. Nicht selten wurde alles mögliche mitgeteilt, nicht nur das eigene Befinden, sondern auch Bewertungen, Projektionen, Vorwürfe etc. Dadurch verletzten sich die Teilnehmer häufig auch untereinander. Doch ist es das zentrale Anliegen der Gestalttherapie, dass Menschen Gewahrsein entwickeln. Gewahrsein bezieht sich nicht nur auf das Wahrnehmen eigener Bedürfnisse, sondern auch auf den Prozess der Mitteilung dieses Bedürfnisses. Um bei den Mitteilungen von Bedürfnissen ein »Agieren« (im Sinne von »Handeln ohne Gewahrsein«) zu verhindern, wurde der Mitteilungsprozess selbst zunehmend Bestandteil der Arbeit. Der gestalttherapeutische Gruppenleiter unterstützte diesen Prozess ggf. mit das Gewahrsein fördernden Interventionen. Auch das Geben von Feedback untereinander im Anschluss an eine Einzelarbeit birgt die Gefahr der gegenseitigen Verletzung. Zunehmend setzt sich die Einsicht in der Gestalt-Gruppenarbeit durch, dass die Aufforderung zum Feedback häufig einer Einladung zur Mitteilung von Bewertungen und Projektionen bezogen auf das Gegenüber gleichkommt. Als hilfreich hat es sich erwiesen, im Anschluss an eine Einzelarbeit die anderen Gruppenmitglieder zu bitten, ihr inneres Erleben und ihre »Nachklänge« zu beschreiben. Auf diese Weise wird deutlich, dass sie eingeladen sind, über sich und ihr Erleben zu sprechen, nicht jedoch über den Anderen. So trägt das Mitteilen des inneren Erlebens zur Entwicklung von umfassendem Gewahrsein und von Kontaktfähigkeit bei. Die Gruppensituation bringt eine eigene Qualität in die Psychotherapie. Die Gruppenarbeit bietet den Vorteil eines größeren »Realitätsgehalts« als die Einzeltherapie: Der Klient hat Kontakt zu mehreren Menschen – nicht nur zu einem Therapeuten. Überdies begegnet er Menschen, mit denen er sonst – in seinem Alltag – wahrscheinlich keinen Kontakt hätte. Die Gruppe unterstützt so die Entwicklung der eigenen Kontaktfähigkeit – nicht nur zu Menschen, mit denen einem dieser sowiewo leicht fällt. Die Vielzahl der anwesenden Personen erlaubt es, Problemsituationen mit anderen Menschen nicht nur zu besprechen, sondern diese z.B. auch in der Gruppe »nachzuspielen« – zum Erforschen, aber auch zum Erproben neuer Verhaltensmöglichkeiten. Nicht unterzubewerten ist auch der Aspekt, dass Psychotherapie in der Gruppe kostengünstiger als Einzeltherapie ist. Daniel Rosenblatt: »Meine wichtigste Erfahrung war die Teilnahme an einer gestalttherapeutischen Gruppe von Laura Perls Anfang der sechziger Jahre. Bereits zuvor, 1947-1950, war ich bei Laura in Einzeltherapie gewesen, bis ich nach Harvard ging, um zu promovieren. Als ich 1956 nach New York zurückkehrte, begab ich mich für zweieinhalb Jahre in Psychoanalyse. Ich hatte fünfmal in der Woche eine Sitzung morgens um acht. Diese Analyse wurde kein Erfolg. Mein Analytiker schloss gerade seine eigene Lehranalyse ab und arbeitete mit einer sehr traditionellen Technik, er sagte nämlich praktisch nichts. Ich konterte damit, dass ich ihm jeden Morgen vier bis fünf Träume vorstellte, und wenn ich damit fertig war, sie zu erzählen, war die Stunde herum. Der nächste Morgen war wieder genauso gefüllt, und so kamen wir nie dazu, meine Träume zu analysieren. Nach über sechshundert Analysestunden verloren er und ich die Geduld. An einem Morgen schlief er ein, an einem anderen hatte er einen Notfall zu versorgen, ließ mich aber nicht wissen, dass die Stunde ausfiele. Ich fand seine Praxis leer vor und saß fünfzig Minuten herum, bis die Sitzung beendet war. Diesen Vorfall nahm ich denn zum Anlass, ihm Vorwürfe zu machen und die Therapie abzubrechen. Er fühlte sich schuldig, verletzt und verärgert. Wir gingen in Unfrieden auseinander. Danach beschloss ich, wieder zu Laura zu gehen und an ihrer Gruppe teilzunehmen. Als ich mich dazu entschloss, eine Gruppe zu leiten, war Gruppentherapie noch ziemlich neu. Fritz und Laura Perls und Paul Goodman hatten Anfang der fünfziger Jahre mit dem Experiment begonnen, Therapie mit Klienten im Rahmen einer Gruppe durchzuführen. Sie wurden dazu wohl durch Morenos Arbeiten mit dem Psychodrama angeregt. Die Perls’ und Moreno waren als emigrierte Therapeuten in New York miteinander bekannt, und Fritz erkannte oft sehr schnell den Wert neuer Techniken, um sie sogleich in seinen eigenen Ansatz miteinzubeziehen. Dabei benutzte er die Gruppe vor allem als Hintergrund, vor dem er eine Einzelarbeit durchführte. Dadurch bekamen die anderen Gruppenmitglieder die Rolle von Zuschauern in einer Art von ›Chor‹. Seine Beziehung zur Gruppe blieb außen vor, seine Aufmerksamkeit galt dem einzelnen Klienten, der Person auf dem ›heißen Stuhl‹. Laura Perls und Paul Goodmann dagegen achteten mehr auf die Gruppe als Ganzes, auf die Kontakte zwischen den Gruppenmitgliedern und zwischen diesen und dem Leiter. Um diese Stilunterschiede noch deutlicher zu machen: Fritz hatte mehr Einfluss in einer begrenzten Zweier-Beziehung, Laura und Paul ließen sich mehr in einen Prozess mit dem System aller Gruppenmitglieder ein. Natürlich arbeiteten auch Laura und Paul gelegentlich mit einem einzelnen Gruppenmitglied, währenddessen die anderen nur Zuschauer waren, aber dies war nur eine ihrer Möglichkeiten, wogegen es für Fritz praktisch die einzige Methode war. Ich habe aus einer Reihe von Gründen den Stil von Laura und Paul übernommen. Vor allem war ich überzeugt, dass der Rahmen, den ich als ›offenes System‹ bezeichnen möchte, mehr Interaktionsmöglichkeiten bereithält, als die Methode von Fritz, die ein geschlossenes System mit größeren Einschränkungen ist. In Fritz’ geschlossenem System liegt die Quelle von Weisheit und Geschick im großen Therapeuten, beim offenen System dagegen liegen die Ressourcen in der ganzen Gruppe. Das ist so ähnlich wie eine Gruppe von Geschworenen vielleicht nicht so bewandert ist wie ein einzelner Rechtsanwalt, jedoch der Gerechtigkeit mit mehr Zuverlässigkeit dient. Dabei geht es in Therapiegruppen natürlich nicht um Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern darum, dass Menschen lernen, für ihre Lebenswünsche mehr Engagement aufzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Ich habe mich bei diesen Grundfragen der Gruppenarbeit so lange aufgehalten, weil mir die Entscheidung, selber eine Gruppe zu leiten, nicht leicht fiel. Als junger Therapeut hatte ich Angst vor jeder Begegnung mit einem Klienten in einer Einzelsitzung. Ich zweifelte, ob ich den vielen Bedürfnissen eines Klienten gewachsen wäre. Bei Gruppen mit ihren komplexen Vorgängen fand ich dies sogar noch bedrohlicher. Ausführliche Literatur über Gruppentherapie gab es nicht, und allgemein war die Angst groß, die Klienten könnten sich gegen den Therapeuten verbünden. Viele meiner Kollegen haben die Leitung von Gruppen wegen dieser Angst vor dem Versagen und wegen ihrer unzureichenden Ausbildung einfach abgelehnt. Ich fühlte mich jedoch durch eine Reihe von Umständen ermutigt, eine Gruppe anzubieten. Der wichtigste Faktor war sicher meine Teilnahme an einer Gruppe, die Paul und Laura Mitte der sechziger Jahre leiteten. Laura war als Gruppenleiterin sehr entspannt, warmherzig und ermutigend. Scharf, direkt, gar schneidend war sie nur dann, wenn sie dies für unerläßlich hielt. Sie fand Retroflektionen sehr wichtig und achtete viel auf die Körperpanzerungen eines Klienten. Gestaltexperimente verwendete sie in freier und schöpferischer Weise. Ihre Gruppenmethoden waren vor allem die folgenden: zum einen verwendete sie die Runde so, dass der Klient ein Gruppenmitglied nach dem anderen ansprechen musste; zum anderen ließ sie in einem Rollenspiel andere als wichtige Personen seines Lebens auftreten, um dann das Eingehen von Risiken bei ihnen auszuprobieren. Auch Laura verlangte, dass die Gruppenmitglieder für ihre Handlungen die Verantwortung übernahmen. Ich war zwei Jahre bei Laura in einer Gruppe, und dabei bekam ich nicht nur selber Therapie, sondern lernte auch als teilnehmender Beobachter, wie man Gruppentherapie machen kann. Danach war ich für zwei oder drei Jahre in einer Gruppe von Isadore From, die sich auf theoretische Fragen konzentrierte. Bei unseren Bemühungen, Perls, Hefferline und Goodman zu verstehen, kamen viele Verwirrungen und Widerstände an die Oberfläche, mit denen Isadore in therapeutischer Weise umging. Seine Gaben lagen im Lehren wie im Fördern gleichermaßen« (Daniel Rosenblatt, Zwischen Männern, Wuppertal 1998, S. 14ff). Literatur: Feder, Bud / Ronall, Ruth (Hg.), Gestaltgruppen (1980), Stuttgart 1983; Rosenblatt, Daniel, Türen öffnen (1975), Köln 1986. Siehe auch: Buber, Martin; Gestalttherapie; Gewahrsein; Goodman, Paul; Hot Seat; Moreno, Jacob Levy; Perls, Fritz; Perls, Laura; Präsenz; Psychoanalyse © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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