![]() ![]()
|
|
|
Stichwort: Topdog Leseprobe in
voller Länge aus dem Die Begriffe »Topdog« und »Underdog« benutzte Fritz Perls, um komplexe psychische Vorgänge auf eine einfache Weise darzustellen. Die Begriffe stammen aus der Holzfällersprache: Um mächtige Bäume zersägen zu können, wird unter dem gefällten Baum ein Loch gegraben. Der Topdog steht oben, der Underdog befindet sich in der Grube, um gemeinsam die Säge zu bedienen. Der »Topdog« ist nach Fritz Perls der Verfolger, Täter, Kontrollierer, der autoritäre »Rechtschaffende«, das Gewissen, Eric Bernes »Eltern-Ich«; die (allerdings vage, sehr entfernte) Herkunft der Topdog-Konzeption stellt Sigmund Freuds Begriff »Über-Ich« dar. Der »Underdog« ist das frustrierte, arme Opfer, der Kontrollierte, der Gemaßregelte. Er entspricht Bernes »Kindheits-Ich«, aber nicht Freuds »Es«. Denn der Underdog ist nicht das Unbewusste. Ständig jammert, heult und meckert er und nervt durch Ressentiments. Er droht mit Selbstverstümmelung. Wichtig, um Fritz Perls zu verstehen, ist nun, dass nicht der Topdog, sondern der Underdog gewinnt. Diese Dialektik von der Macht des Ohnmächtigen und der Ohnmacht des Mächtigen, geht auf eine Gedankenfigur von Friedrich Nietzsche zurück. »Topdog« wäre mit »Herr« im Sinne Nietzsches, »Underdog« mit »Sklave« zu übersetzen. Nach Nietzsche gibt es eine Herren- und eine Sklavenmoral. Die Herrenmoral legt Wert auf Individualisierung und Verfügungsgewalt. Als höchsten Ausdruck von Herrenmoral gibt Nietzsche das »Herrenrecht, Namen zu geben« an: Dinge mit den Worten zu bezeichnen, die der Herr für angemessen hält. Wenn der Herr über andere Menschen verfügt, wird er zum Tyrannen. Die Menschen, über die er verfügt, macht er zu Sklaven. Bei den Sklaven entwickelt sich eine Moral, die die Werte der Herren umkehrt: In der Sklavenmoral sind Gehorsam und Gleichförmigkeit die obersten Maximen. Man nennt die Dinge so, wie es alle anderen auch tun. Die Sklaven bilden eine Masse von Schwachen, die vereinzelten starken Herren gegenüber stehen – und dann stellt sich heraus, dass die Masse stärker ist. So weit stimmt Nietzsches Auffassung noch mit der von Hegel und Marx überein (»Dialektik von Herr und Knecht«). Aber, sagt Nietzsche, die starke Masse der Sklaven, die letztendlich über die Herren siegt, bringt ihre Sklavenmoral an die Herrschaft. Mit dem Sieg der Sklaven übernehmen die Sklaven nämlich nicht automatisch die Moral der Herren. Die siegreichen Sklaven sind weiter gehorsam – gehorsam gegenüber dem, was »man tut«. Sie lehnen weiter die Individualisierung ab und fordern Gleichförmigkeit. Sich zu unterscheiden oder »selbstherrlich« etwas zu verändern, wird zu einem Verbrechen. Der Aufstand der Sklaven stellt jedoch keine Befreiung dar, sondern er mündet in der Selbstversklavung. Auf diese Weise kommt es zu einer unseligen Symbiose von Sklave und Tyrann: Die Strukturen sind heilig (Sklaverei) und alle Menschen müssen sich ihnen bedingungslos unterwerfen (Tyrannei). Scheinbar gibt es nur noch die Herde, keine Hirten mehr. Scheinbar – in Wirklichkeit gibt es durchaus weiter die Funktionen der Herrschaftsausübung. Diejenigen »Sklaven« jedoch, die die Herrschafts-Funktionen ausüben, verstoßen damit gegen die eigenen Moralvorstellungen. Die Folge davon ist das »schlechte Gewissen« – die verhängnisvolle Instanz, die Nietzsche bekämpfte, weil er ihr zuschrieb, dass sie alle Lebensfreude (»Unschuld des Werdens«) aufzehre. Dieses geschichtsphilosophisch-politische Modell wendete Fritz Perls nun auf den einzelnen Menschen an: In ihm tobt genau dieser Kampf, bezeichnet als Kampf zwischen Top- und Underdog. Nicht das »Über-Ich« ist der eigentliche Bösewicht, sondern etwas, das vielleicht »Unter-Ich« heißen könnte. Die (gestalt-)therapeutische Hoffnung besteht darin, dass eine Integration von Top- und Underdog zu einem »ganzen«, selbstbestimmten Menschen führt. Siehe auch: Berne, Eric; Freud, Sigmund; Perls, Fritz © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
[Impressum] [Datenschutz]
|
![]()
![]()
|