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Stichwort: Angst Leseprobe in
voller Länge aus dem Etymologie: Das deutsche Wort »Angst« entsteht aus dem indogermanischen »angh« (eng) mit dem Suffix »st« (dazugehörig), heißt also: »das, was zur Enge gehört«. Ähnlich lateinisch: »angustiae« (Enge). Definition: Wenn man im Alltag von »Angst« spricht, handelt es sich zumeist um die Vermischung von zwei Phänomenen, die getrennt werden müssen (nach PHG, Gestalttherapie: Praxis, S. 148ff): 1. Ein Teil der »Angst« ist Furcht: Furcht beinhaltet eine mehr oder weniger rationale Entscheidung darüber, dass etwas für uns gefährlich ist. Das Gefährliche muss überwunden, zerstört oder vermieden werden. (Furcht sitzt im Magen.) 2. Die eigentliche Angst besteht dagegen in einem Gefühl der Enge. Die Ursache für dieses Gefühl ist, dass der Brustkorb durch die ihn umgebenden Muskeln zusammengedrückt wird: Die Muskeln, die für die regelmäßige und freie Atmung zuständig sind, um den Organismus mit der stets richtigen Menge Sauerstoff zu versorgen, richten sich »gegen uns«. Die Angst macht unfähig, so zu handeln, wie es gut wäre, um die Furcht zu besiegen. (Angst sitzt in der Brust.) Normalerweise bezieht sich die Angst auf eine Furcht: Wenn etwas (be)fürchtet wird, kann das auch Angst machen. Das Paradox der Angst besteht darin, dass sie um so stärker wird, je mehr man versucht, keine Angst zu haben. Fritz Perls bringt »Angst« auf die kurze Formel: »Angst ist Erregung minus Sauerstoff« (Selbstfindung durch Gestalttherapie, 1957, in: ders., Gestalt - Wachstum - Integration, S. 136). Über diese physiologische Ursache hinaus geht seine kognitive Begründung: »Angst ist die Spannung zwischen dem Jetzt und dem Später« (Perls, Gestalt-Wahrnehmung [1969], S. 189). Bedeutung für die Gestalttherapie: Die zentrale Bedeutung der Beschäftigung mit der Angst ergibt sich daraus, dass Angst »Hauptfaktor bei der Neurosenbildung« ist und »entsteht, weil die Erregung der schöpferischen Anpassung unterbrochen wird« (PHG, Gestalttherapie: Grundlagen [1951], S. 13). Dabei ist nicht die Angst vor oder in einem Konflikt problematisch (sie ist vielmehr eine gesunde Reaktion in einem gesunden Zusammenhang), sondern der ständig vorzeitig abgebrochene Konflikt ruft die problematische Angst hervor – keine »große« Angst, sondern eine dauernde kleine Spannung: die Angst, in eine Situation verwickelt zu werden, in der ein Konflikt unausweichlich oder zumindest nützlich wäre, aber nicht ausgetragen wird, und die Angst, dass die vielen unausgetragenen Konflikte zu Tage treten könnten. Es ist nämlich genau die gesellschaftliche Ächtung und Unterdrückung der individuellen Aggression – der Möglichkeit, sich im Konflikt die Umwelt anzupassen, anstatt der Umwelt angepasst zu werden –, die die chronische Angst erzeugt. (Auf der Kehrseite der Medaille steht, dass die Bereitschaft zu kollektiver Aggression steigt, z.B. im Krieg.) Würdigung: Daraus folgt, dass nicht jede Angst »ungesund« ist und »wegtherapiert« werden muss: »Ängstlich zu sein, ist die Voraussetzung dafür, weiter zu gehen, sich zu entfalten, etwas zu tun. Aber was passiert, wenn man zu ängstlich ist, etwas zu tun, und keinen Blick in das Unbekannte zu richten wagt? […] Denken Sie an einen Schaupieler und sein Lampenfieber, da können Sie die beiden Möglichkeiten der Angst erkennen. Entweder entwickelt man eine Abwehr, oder man schafft sich weiterführende Erfahrungen« (Fritz Perls, Selbstfindung durch Gestalttherapie, 1957, in: Gestalt-Wachstum-Integration, S. 134). Siehe auch: Aggression; Anpassung; Neurose; Unterstützung © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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