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Stichwort: Gestaltausbildung Leseprobe in
voller Länge aus dem Im deutschsprachigen Bereich haben sich unterschiedliche Modelle der gestalttherapeutischen Ausbildung entwickelt. An dieser Stelle werden wir die »Gestalt-Ausbildung nach dem Kölner Modell« exemplarisch vorstellen. Grundsätzlich braucht jemand, der Gestalttherapeut werden will, ein großes Interesse am anderen Menschen und am Kontakt mit ihm. Dazu gehört die Bereitschaft, sich als Mensch vom anderen berühren zu lassen – von seiner Freude, und von seinem Leid, von seinem Glück und von seinem Unglück usw. Das ist mehr als einfach nur Interesse an den Fakten im Leben des anderen. Es schließt die Bereitschaft ein, Empfindungen und Gefühle gegenüber dem anderen zuzulassen: Ein Gestalttherapeut spürt ständig in sich hinein, spürt nach, was er empfindet, wie es ihm geht, körperlich, seelisch, etc. Was seine inneren Antworten auf sein Gegenüber sind. Daraus erwachsen seine gestalttherapeutischen Interventionen. Mit denen will er den Klienten unterstützen, mehr über sich herauszufinden, damit er seine Bedürfnisse besser kennen lernt und handlungsfähiger wird. Darum muss der Gestalttherapeut zuerst lernen, sich selbst besser wahrzunehmen – und dann »unterrichtet« er den Klienten darin, sich seinerseits selbst besser wahrzunehmen. Das macht er nicht nur durch Fragen, die die Aufmerksamkeit des Klienten vergrößern sollen. Das macht er vor allem dadurch, das er seine Beobachtungen genauso wie sein inneres Erleben dem Klienten zur Verfügung stellt. Gestalttherapie lernt man nicht, indem man Methoden vorgestellt bekommt und diese dann anwendet. Denn das Zentrale an Gestalttherapie ist nicht das methodische Instrumentarium, sondern eine bestimmte »Haltung«: Demut, Wohlwollen, Bereitschaft, sich seelisch berühren zu lassen, Wahrnehmung, »Gewahrsein«, Interesse, Neugier, Forschergeist. Eine gestalttherapeutische Ausbildung am Gestalt-Institut Köln dauert fünf Jahre. Und die erste Hälfte der Ausbildung – der »Basisbaustein« – ist in überwiegendem Maße (80%) Arbeit an der eigenen Person. Die Ausbildung findet sowohl in der Ausbildungsgruppe als auch in einer begleitenden Lehranalyse statt. In der ganzen Ausbildung geht es um den Erwerb der gestalttherapeutischen Haltung: Zuerst einmal sich selbst gegenüber, und dann – mit fortlaufender Ausbildung – dem anderen, dem »Peer« (dem Mitlernenden), schließlich dem Klienten gegenüber. Die restlichen 20% des Basisbausteins sind vor allem das Kennenlernen der theoretischen Grundlagen der Gestalttherapie. Auch hier wieder: Es geht nicht um eine Methode, sondern um einen Ansatz – einen philosophischen, einen politischen und ebenso einen spirituellen Ansatz. Die Arbeit an der eigenen Person in der Ausbildung unterscheidet sich von der in einer gestalttherapeutischen Selbsterfahrungsgruppe. Denn in der Ausbildung müssen gerade auch die eigenen Schattenseiten aufgesucht werden. Damit man als Gestalttherapeut seine Resonanz auf seine Klienten (seine innere Antwort auf den Klienten) diagnostisch und für die therapeutische Intervention nutzen kann, muss man die eigenen Schattenseiten kennen, sonst kann die Resonanz auf den Klienten verzerrt sein. Ein Beispiel: Ein erfahrener Kollege arbeitete am Nachmittag eines Therapietages mit fünf Männern hintereinander an Demütigungen durch deren Väter. Das ist auffällig. Meist kann man vermuten, dass es etwas mit einem selbst zu tun hat, wenn alle Klienten an einem einzigen Thema arbeiten. Jener Kollege brachte also diese Erfahrung mit in die Supervisionsgruppe. Der Supervisor fragte ihn direkt nach seinem Verhältnis zum Vater. Er brach in Tränen aus und berichtete, wie sein Vater ihm oft das, was er gebaut oder gebastelt hatte, zerstörte, wenn es nicht absolut perfekt war. Der Kollege hatte das völlig vergessen. Nach dieser Supervisionsarbeit begannen seine fünf Klienten von sich aus ganz unterschiedliche Themen zu bearbeiten – nur einer arbeitete weiter am Thema »Vater«! Erst nach dieser intensiven Arbeit an der eigenen Person in den ersten 2 1/2 Jahren der Ausbildung beginnen die Trainees die Arbeit mit Übungsklienten und hospitieren in Gestalttherapiegruppen. In diesem zweiten Ausbildungsbaustein, dem »Praxisbaustein Gestalt« (1 Jahr) finden sie auf diese Weise praktisch heraus, was sie noch lernen wollen und müssen. In dieser Ausbildungsphase ist es unbedingt notwendig, dass die Trainees mit Übungsklienten zu arbeiten beginnen. Dann erst finden sie nämlich heraus, was sie lernen wollen. Das Gestalt-Institut Köln versteht das Vermitteln von Übungsklienten als Aufgabe des Ausbilders. Denn Selbstzweifel der Trainees wirken sich in dieser Phase erfahrungsgemäß häufig so aus, dass sie dann – Gott sei Dank! – keine Klienten »finden«. Auf diese Weise vermeiden sie »gerne« den ersten Praxiskontakt. Das Gestalt-Institut Köln gibt an dieser Stelle Hilfestellung. Im Praxisbaustein des Gestalt-Instituts Köln beginnen die Trainees, die im ersten Ausbildungsabschnitt gelernte Haltung auf das Gegenüber anzuwenden. Auch in diesem Baustein geht es nicht primär um Methodenlernen, sondern vielmehr um die Bereitschaft, dem Klienten zu begegnen. Und darum, sich von ihm berühren zu lassen. Denn später wird aus der inneren Resonanz auf den Klienten die gestalttherapeutische Intervention erwachsen. Auch in diesem Ausbildungsbaustein spielt die Arbeit an der eigenen Person noch eine bedeutsame Rolle: Sie umfasst ca. 50% neben dem eben gerade geschilderten Lernen und der begleitenden Praxiserfahrung. Danach folgt der dritte Ausbildungsbaustein, der »Aufbaustein Gestalttherapie« (1 1/2 Jahre). Erst in diesem Ausbildungsabschnitt, d.h. nach 3 1/2 Jahren Arbeit an der Gestalt-Haltung, steht das Erlernen und Einüben von gestalttherapeutischen Methoden und Techniken im Zentrum. In dieser Zeit arbeiten die Trainees bereits mit eigenen Klienten bzw. wirken in der vom Gestalt-Institut Köln initiierten »Gestalt-Ambulanz« mit. In der »Gestalt-Ambulanz« bieten fortgeschrittenen Ausbildungsteilnehmer kurzfristige Beratungen für Menschen in persönlichen Krisen an – kostengünstig, also gerade für alle jene Klienten, die nur über niedrige Einkünfte verfügen. Kontinuierliche Supervision begleitet in diesem Ausbildungsbaustein die Anwendung des Erlernten in der Praxis. Und auch hier hört die Arbeit der »werdenden« Gestalttherapeuten an ihrer eigenen Person natürlich nicht auf. Sie macht in diesem Baustein vielleicht noch 30% aus, neben der gerade erwähnten Einübung von »handwerklichen« gestalttherapeutischen Methoden und Techniken im engeren Sinne. Die Gestalt-Lehranalyse begleitet den ganzen Lehr- und Lernprozess über diese 5 Jahre. Am Ende der fünf Jahre Ausbildung haben die Trainees dann mindestens 120 Stunden Lehranalyse erhalten. Siehe auch: Haltung; Intervention © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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