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Stichwort: Projektion Leseprobe in
voller Länge aus dem Etymologie: Aus dem lateinischen Verb »proiciare« (vorwerfen, hin- und wegwerfen, verachten, verschmähen, fortjagen). Definition: Das Projizieren besteht darin, das Objekt zu leugnen oder zu negieren, es also nicht so wahrzunehmen, wie es ist. Anstelle dessen werden ihm Eigenschaften unterstellt. Das Objekt wird mit etwas eigenem (Interpretation, Halluzination, Fantasieprodukt o.ä.) überblendet. Besonders problematisch wird dies, wenn es sich dabei um Dinge handelt, die man bei sich selbst ablehnt. Beispiel: Jemand ist wütend, aber hat die introjizierte Norm, dass man nicht wütend sein dürfe. Wohin mit der Wut? Der Wütende spürt sie ja! Da er sie aufgrund seiner Norm nicht haben darf, unterstellt er nicht selten, dass der andere wütend sei – der vielleicht gar nicht wütend ist. Wem aber lange genug unterstellt wird, dass er wütend sei, fühlt sich am Ende angegriffen. Eine Kontaktstörung ist die Projektion, weil der Gegenüber nicht so wahrgenommen wird, wie er ist. Darum kann man mit ihm nicht wirklich in Kontakt treten; an dessen Stelle tritt die Unterstellung. Beispiel: Ein Klient beschwert sich empört, sein Chef habe ihn für die verspätete Abgabe eines Konzeptes kritisiert, obwohl die Verspätung nur dadurch eingetreten sei, dass ihm ein missgönnerischer Kollege Informationen bewusst vorenthalten habe. Die »freche« Rückfrage des Beraters, ob er nicht den Kollegen hätte wegen der fehlenden Informationen ansprechen und damit die Terminverzögerung abwenden können, bringt den Klienten in Verlegenheit: Das hätte tatsächlich innerhalb seiner Handlungsmöglichkeiten gelegen. Er war verantwortlich. Aufgrund einer introjizierten Norm der Art »Man darf nicht schlecht von den Mitmenschen denken« kann es natürlich auch zu der umgekehrten Form der Projektion kommen, und man nimmt einen Angriff auch dann nicht wahr, wenn er tatsächlich stattfindet. Stattdessen redet man sich die Sache schön. Beispiel: Jemand wird im Kollegenkreis ständig mit ironischen Bemerkungen gepiesackt und sagt sich: »Die meinen das eigentlich nicht so.« Wie alle Kontaktstörungen erfüllt auch die Projektion in gewissen Zusammenhängen eine gute Funktion. Bei der Gestaltbildung werden die nicht vorhandenen, nicht erkannten und nicht sichtbaren Teile ergänzt, also gleichsam projiziert. Dies geschieht unvermeidlich, enthält jedoch stets die Gefahr einer fehlerhaften Ergänzung. Die angemessene Verhaltensweise liegt in der Mitte (»Nullpunkt«, »Indifferenzpunkt« nach Friedlaender) zwischen den Extremen (Polaritäten), nämlich in der Fähigkeit, die Umwelt sowohl als positive Ressource anzusehen, als auch ihre mögliche Gefährlichkeit anzuerkennen. Fritz Perls hat in seinen späteren Jahren häufig an Projektionen gearbeitet, um diese zu reintegrieren. Siehe das Stichwort »Traum«. Beschreibung bei Erving und Miriam Polster: »Der ›Projektor‹ ist ein Mensch, der seine Gefühle und Aktionen nicht akzeptieren kann, weil er auf diese Art nicht fühlen oder handeln »sollte«. Dies »sollte nicht« ist natürlich die grundlegende Introjektion, die sein Fühlen oder Handeln als schlecht wertet. Um dieses Dilemma zu lösen, erkennt er nicht seine eigene Untat an, sondern schreibt sie einem anderen Menschen zu. Das Ergebnis ist eine klassische Spaltung zwischen seinen tatsächlichen Charakteristika und dem, was er über sie weiß. Andererseits findet er diese Charakteristika überall bei anderen Menschen. Der Verdacht zum Beispiel, dass ein anderer ihm grollt oder versucht, ihn zu etwas zu verleiten, ist völlig grundlos und basiert auf der von ihm nicht akzeptierten Tatsache, dass er sich dem anderen gegenüber so verhalten will. Während der Introjektor sein Gefühl der Identität aufgibt, verschenkt es der Projektor Stück für Stück. Dem Projektor die verstreuten Stücke seiner Identität wiederzugeben, ist ein Eckpfeiler des Durcharbeitungsprozesses. Wenn sich beispielsweise ein Patient darüber beklagt, dass sein Vater nicht mit ihm sprechen will, so braucht der Therapeut ihm dies nicht abzukaufen. Er kann dem gekränkten Sohn empfehlen, diese Beschwerde einfach umzudrehen, und statt dessen zu sagen, dass er nicht mit seinem Vater sprechen will. Der Sohn mag entdecken, dass er in der Tat eine Rolle bei der Entfremdung vom Vater gespielt hat. Vielleicht hat er sie sogar eingeleitet, indem er seines Vaters Annäherung so heftig zurückgestoßen hat, dass der Vater es einfach aufgegeben hat, mit ihm zu sprechen. Die therapeutische Technik beruht auf der grundsätzlichen Annahme, dass wir unser eigenes Leben selbst gestalten und dass wir, indem wir unsere eigenen Schöpfungen wieder in Besitz nehmen, ermutigt werden, unsere Welt zu verändern. Und auch wenn kein äußerlicher Wandel notwendig oder möglich sein sollte, ist das Gefühl der persönlichen Identität in sich schon eine Erfahrung. Wenn ein Projektor sich vorstellen kann, dass er einige der Qualitäten besitzt, die er bei anderen sieht, aber bisher aus seinem eigenen Selbstbewusstsein verbannt hat, wird dadurch sein allzu rigides Identitätsgefühl gelockert und erweitert. Ein Mann hat beispielsweise das Gefühl für die eigene Grausamkeit unterdrückt. Sich selbst als grausam zu erfahren, kann ihm eine neue Vitalität schenken, verleiht seiner Liebenswürdigkeit vielleicht Dimension oder gibt ihm den notwendigen Anstoß, das zu verändern, was nur grausames Verhalten verändern würde« (Erving und Miriam Polster, Gestalttherapie, 1975, S. 88f). Siehe auch: From, Isadore; Gestaltwelle; GTI; Introjekt; Introjektion; Kontaktstörungen; Traum © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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