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Stichwort: Deflektion Leseprobe in
voller Länge aus dem Etymologie: Gebildet aus dem lateinischen Verb »deflectare«, (herab)biegen, ablenken. Den Begriff »Deflektion« haben Erving und Miriam Polster eingeführt (Gestalttherapie, zuerst 1973; dt. Wuppertal 2001). Im Text von Perls, Hefferline, Goodman (1951) wird statt »Deflektion«, begrifflich unglücklich, »egotism« gesagt. Inwieweit beide Begriffe identisch sind, siehe unter »Egotismus«. Definition: Deflektion stört den Kontakt, unterbricht ihn, bricht ihn ab oder schränkt ihn ein, indem eine Abwendung von dem eigenen Bedürfnis, von der Umwelt und (oder) von den Handlungsmöglichkeiten stattfindet. Sowohl das Subjekt mit seinen Bedürfnissen und Handlungsoptionen als auch die Umwelt mit ihren Ansprüchen und Möglichkeiten wird negiert. Man lässt sich nicht ein und hat keine Kraft zum Handeln. Jemand versucht beispielsweise, dem notwendigen Konflikt durch Ausweichen zu entgehen. Er wendet sich ab, schläft ein, »deflektiert«. Es fehlt die Kontaktfunktion des Konfliktes, der durch »deflektierenden« Rückzug aus der Umwelt vermieden wird. Wie alle Kontaktstörungen hat auch die Deflektion in gewissen Zusammenhängen eine gute Funktion. Aus der Vielzahl von Kontaktangeboten und -möglichkeiten muss stets ausgewählt werden. Manchmal lässt sich das nicht anders bewältigen, als durch eine ungeprüfte Zurückweisung. Eine eventuelle Unfähigkeit zur Deflektion kann selbst eine Art von Deflektion sein, nämlich das Ausweichen vor der Notwendigkeit des Auswählens. Die angemessene Verhaltensweise liegt in der Mitte (»Nullpunkt«, »Indifferenzpunkt« nach Friedlaender) zwischen den Extremen (Polaritäten), also in der Fähigkeit, sowohl wahrzunehmen (das nämlich, was vor sich geht) als auch zu ignorieren (das nämlich, was nur ablenken würde). Die Beschreibung von E. u. M. Polster: »Die Deflektion ist eine Methode, sich dem direkten Kontakt mit einem anderen Menschen zu entziehen. Es ist eine Art, den aktuellen Kontakt abzuschwächen. Dies wird durch Weitschweifigkeit erreicht, durch eine übertriebene Ausdrucksweise, dadurch, dass man stets im scherzhaften Ton spricht, dass man den Gesprächspartner nicht direkt ansieht, dass man nie zur Sache kommt, dass man schlechte Beispiele heranzieht, die nichts besagen, dass man höflich statt direkt ist, dass man sich einer stereotypen Sprache bedient, dass man über die Vergangenheit spricht, wo doch die Gegenwart relevant ist, dass man seine eigenen Worte in Frage stellt. Alle diese Deflektionen führen nur dazu, das Leben zu verwässern. Die Handlung verfehlt ihr Ziel; sie ist schwächer und weniger effektiv. Der Kontakt kann entweder von demjenigen abgebogen werden, der die Interaktion initiiert, oder von dem auf die Interaktion Antwortenden. Der erstere hat häufig das Gefühl, dass er für das, was er tut, nicht genügend bekommt, dass seine Anstrengungen ihm nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Er weiß noch nicht einmal, wie er dies erklären soll. Der Antwortende, der die Anstrengungen eines anderen abbiegt, erfährt sich oft als ungerührt, gelangweilt, verwirrt, interesselos, zynisch, ungeliebt, unwichtig und fehl am Platz. Wenn die abgebogene Energie wieder auf das Ziel gerichtet werden kann, dann wird das Gefühl des Kontakts enorm vergrößert. Obwohl die Deflektion im Allgemeinen selbsteinschränkend ist, so kann sie doch eine nützliche Basis haben. Es gibt Situationen, die so explosiv sind, dass der Mensch sich von ihnen abwenden muss. So gibt es bestimmte internationale Probleme, die entschärft werden müssen, oft mit Hilfe der Diplomatensprache. Viele dieser sprachlichen Konversationen mögen sich als unaufrichtig herausstellen, aber einige versuchen wirklich, die offene Feindseligkeitserklärung zu vermeiden, die nicht mehr zurückgenommen werden kann. In vielen Ausdrücken schwingen stereotype Implikationen mit, die gar nicht beabsichtigt sind. Sie lösen im Zuhörer Reaktionen aus, und obwohl die Gefühle selbst vielleicht nur vorübergehend sind, wird durch diese Reaktionen etwas verfestigt. Dies gilt sowohl für einzelne Menschen als auch für ganze Nationen. Wenn ich in der Wut jemanden beschimpfe, sagt dies nichts über meine ständigen Gefühle dem Betreffenden gegenüber aus. Mit Vertrauen, Zeit und gegenseitigem Verstehen kommt man über solche Augenblicke hinweg, aber wo diese Bedingungen nicht gegeben sind, kann es klug und auch nötig sein, die Wut abzulenken. Wenn man sich ausschließlich der Deflektion bedient oder kein Unterscheidungsvermögen besitzt, wird die Sache problematisch. Wenn zum Beispiel die Eltern ein Kind aufklären, sich dabei aber einer unklaren Sprache bedienen, begehen sie ein Verbrechen. Ein Kind über die Sexualität aufzuklären, ist eine der unvermeidlichen Deflektionen im Leben. Technische Einzelheiten und abstrakte Genauigkeit verschleiern nur weiter eine Botschaft, die auch bei der günstigsten Übermittlung weit entfernt von der sexuellen Wirklichkeit ist. Das Kind kommt nicht ganz mit, und meist weiß es nicht einmal richtig, worum es geht. Das gleiche Bedürfnis, die Dinge abzuschwächen, kann jeden durchdringen, der problematische Konsequenzen befürchtet. ›Ich spreche nicht von Ihnen, aber die meisten Menschen sind nun mal grob, kurz angebunden oder bringen für andere nicht die nötige Zeit auf.‹ Hier wird die wirkliche Beschwerde darüber, unhöflich behandelt worden zu sein, abgeschwächt oder von ihrem Ziel abgelenkt. Die Aktivität des Deflektors wirft keinen Ertrag ab. Es geschieht einfach nichts. Der Betreffende kann reden und sich doch unberührt oder missverstanden fühlen. Seine Interaktionen misslingen, sie bringen nicht das, was er vernünftigerweise erwarten könnte. Selbst wenn man richtig und akkurat kommuniziert, wird man nicht die volle Wirkung erzielen, wenn man nicht in den anderen eindringt« (Erving und Miriam Polster, Gestalttherapie, 1975, S. 97ff). Siehe auch: Gestaltwelle; GTI; Kontaktstörungen © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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