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Stichwort: Gestalttechniken Leseprobe in
voller Länge aus dem Etymologie: Aus dem altgriechischen »téchne« für Hand- bzw. Kunstwerk sowie Kunstfertigkeit entsteht das im klassischen Latein wenig gebräuchliche »techna« (für List) und »technicus« (für Lehrer der Kunst); im Mittellatein ist mit »techna« Methode gemeint, und erst im 17. bzw. 18. Jahrhundert entsteht langsam die heutige Bedeutung. Zu »Gestalt« siehe Gestaltpsychologie. Bedeutung für die Gestalttherapie: Die Gestalttherapie ist, worauf schon sowohl Laura als auch Fritz Perls immer wieder hingewiesen haben, nicht durch spezielle therapeutische Techniken, sondern durch eine besondere Haltung gekennzeichnet (siehe die Stichworte »Haltung« und »Intervention«). Gleichwohl gibt es eine Reihe von Techniken, die mit der Gestalttherapie eng verbunden sind. Diese Techniken lassen sich in drei Gruppen einteilen. Der Gestalttherapeut wird sie so anwenden, wie es der Situation im therapeutischen Prozess, dem Kontakt zwischen ihm und seinem Klienten, der Persönlichkeit des Klienten und schließlich seiner eigenen Persönlichkeit entspricht. Die erste Gruppe von Gestalttechniken will den Klienten in seinem Gewahrsein (seiner Wahrnehmungsfähigkeit des Hier-und-Jetzt, der Gegenwart) stärken. Wenn der Klient z.B. in der Erinnerung der Vergangenheit oder in der Planung der Zukunft zu versinken droht, lädt der Therapeut ihn ein, sein gegenwärtiges Erleben zu erkunden. Ebenso z.B., wenn der Klient ganz in seinen Gedanken gefangen und von seinen Gefühlen wie abgeschnitten ist. Die zweite Gruppe von Gestalttechniken ist darauf gerichtet, den Klienten bei der Reintegration abgespaltener Anteile seiner Persönlichkeit zu unterstützen; z.B. wenn der Klient sich seiner Umwelt gegenüber ausgeliefert fühlt oder wenn er ausschließlich andere Menschen bzw. Sachzwänge für seine Situation verantwortlich erlebt. Dann wird er eingeladen zu erforschen, inwieweit er diese Situation vielleicht selbst herstellt, indem er seine eigene Kraft und Stärke auf andere projiziert. Ebenso könnte er erforschen, was an anderen wahrgenommene »negative« Eigenschaften evtl. mit eigenen abgelehnten Anteilen zu tun haben. Die dritte Gruppe von Gestalttechniken will dazu beitragen, dass der Klient seine Handlungsmöglichkeiten vergrößern und erweitern kann. Wenn er z.B. überhaupt keinen Handlungsspielraum für sich sieht oder sich wie in einer Sackgasse erlebt (Impasse), dann wird er zunächst im geschützten Raum der Therapie eingeladen – »in der sicheren Krise der therapeutischen Situation« (Fritz Perls) –, andere Möglichkeiten vorsichtig auszuprobieren – in einem ersten Schritt evtl. als Gedankenexperiment. Fritz Perls: »Ich akzeptiere niemanden als kompetenten Gestalttherapeuten, solange er noch ›Techniken‹ benützt. Wenn er seinen eigenen Stil nicht gefunden hat, wenn er sich selbst nicht ins Spiel bringen kann und den Modus (oder die Technik), die die Situation verlangt, nicht der Eingebung des Augenblicks folgend erfindet, ist er kein Gestalttherapeut« (Interview mit Fritz Perls, 1968, in: ders., Gestalt – Wachstum – Integration, Paderborn 1985, S. 170). Rich Hycner: »Ich glaube, dass ein dialogischer Ansatz die angemessene Grundlage für Theorie und Praxis der Gestalttherapie bildet und ihr wieder jene ursprüngliche Radikalität verleiht, mit der ihre Begründer das ›Zwischen‹ erforschten und sich dabei auf Personen (anstatt Funktionen) sowie auf die Beziehungen zwischen Menschen, also auf die menschliche Begegnung, konzentrierten. Die Grundannahme einer dialogischen Gestalttherapie, wie ich sie hier vorstelle, lautet: Der übergreifende Ansatz, der Prozess und das Ziel von Psychotherapie sind ihrer Natur nach dialogisch, und alle Techniken ergeben sich aus dem Kontext der Beziehung zwischen Klient und Therapeut. Dialogische Gestalttherapie ist eine therapeutische Anwendung der Philosophie des Dialogischen, wie sie von Martin Buber vertreten und von Maurice Friedman weiterentwickelt wurde. Mit dem ›Dialogischen‹ ist der übergreifende Beziehungskontext gemeint, in dem die Individualität jedes Menschen wertgeschätzt und direkte, gegenseitige und offene Beziehungen zwischen Menschen gefördert werden. […] Für Laura Perls war anscheinend eine dialogische Haltung in der Therapie besonders im Hinblick auf die Verwendung von Techniken wichtig. Sie hat darauf hingewiesen, dass eine persönliche Begegnung mit Martin Buber sie grundlegend beeinflusst hat und dass das eigentliche Wesen der Gestalttherapie in der Beziehung zwischen Therapeut und Klient liegt. ›Ein Gestalttherapeut verwendet keine Techniken; er verwendet sich selbst in einer und für eine Situation mit den professionellen Fähigkeiten und mit seiner Lebenserfahrung, die er angesammelt und integriert hat. Es gibt so viele therapeutische Stile wie es Therapeuten und Klienten gibt, die sich selbst und einander entdecken und die gemeinsam ihre Beziehung erfinden‹. […] Techniken erwachsen aus dem Kontext der Beziehung. An ihnen ist nichts falsch, solange sie der Situation nicht künstlich übergestülpt werden. Wenn es in einer Therapiesitzung einmal nicht weitergeht, ist es völlig angemessen, eine der zahlreichen ›Techniken‹ einzusetzen, mit denen Gestalttherapeuten in vielen Jahren gute Erfahrungen gemacht haben. Dies setzt allerdings voraus, dass eine vertrauensvolle Beziehung besteht (in dem Maße, in dem das zur jeweiligen Zeit möglich ist), die es dem Therapeuten ›erlaubt‹, bestimmte Techniken zu benutzen. Wenn der Therapeut wirklich einen guten Kontakt mit seinem Klienten hat, ›ergeben‹ sich die Techniken aus der gemeinsamen Situation von Therapeut und Klient. So genannte Techniken sollten ›Produkte des Zwischen‹ sein. Der Therapeut muss sowohl eine extrem subjektivistische als auch eine extrem objektivistische Haltung vermeiden. Das ist keine leichte Aufgabe. Es ist ohne Zweifel schwer, die Kunst des Antwortens auf das ›Zwischen‹ zu lehren, bei der die subjektiven und die objektiven Dimensionen verschmelzen. Es kommt mir so vor, als sei der Therapeut fast in derselben Situation wie ein guter Jazzmusiker beim Improvisieren. Natürlich hat er sich die technischen Aspekte der Musik durch viel Übung angeeignet und er mag sogar formell in klassischer Musik ausgebildet sein. Im Moment des Improvisierens jedoch kommt dem technischen Training nur noch der Stellenwert einer wichtigen Voraussetzung zu, die den Musiker befähigt zu improvisieren. Wie Buber so richtig sagt: ›Der wirkliche Meister weiß dem Einzigartigen zu begegnen‹. […] Ich habe oft gesagt, dass ein dialogischer Ansatz dem Einsatz von Techniken nicht ablehnend gegenübersteht. Vielmehr liefert er einen Rahmen, innerhalb dessen angemessene Techniken entstehen können. Eine Technik kann dialogisch sein, solange sie nicht nur als »reine Technik« eingesetzt wird. Sie sollte Teil sein des ständigen Bemühens um eine Vertiefung der Bewusstheit auf der Beziehungsebene, des Kontakts und der (mit)geteilten Wirklichkeit. Dialog ist der fortwährende Wechsel zwischen Ich-Du- und Ich-Es-Momenten. Im Zusammenhang sauber eingesetzt, kann eine Technik ein wesentlicher Bestandteil der Begegnung sein. Sie kann dazu beitragen, die Hindernisse für einen Dialog zu verringern oder zu beseitigen. Eine Technik besteht weder um ihrer selbst willen noch um die Therapeuten-Egos aufzublasen, sondern um immer wieder die ›Begegnung‹ zu fördern. Als Gestalttherapeuten haben wir uns wahrscheinlich schuldig gemacht, zuviel zu ›tun‹ und zuwenig zu ›sein‹ (E. Polster, 1987). Viel zu oft wollen wir mit einer Technik losstürmen, die in Wirklichkeit vorzeitig ein zartes Öffnen für einen echten Dialog unterbricht. Solche Technik hält uns im Bereich des Monologischen gefangen. Viel zu oft wird eine Technik eingesetzt aufgrund einer Zielorientierung und der Egobedürfnisse des Therapeuten. Viel zu oft bezieht sie sich nicht wirklich auf das, was ist (Yontef 1989) noch auf das, wonach die tiefsten Anteile des Seins dieser Person verlangen. Viele meiner Studenten und Ausbildungskandidaten berichten mir, dass es sie überrascht, wieviel mehr passiert, wenn sie nur »mit dem Patienten mitgehen«, als wenn sie etwas zu ›machen‹ versuchen. Die Haltung des Mitgehens verlangt Vertrauen in das, was auftaucht. Das meint ›Selbst‹kontrolle aufzugeben, um das Entstehen einer größeren Gestalt zu ermöglichen. Jedoch schließt ein solches Begleiten den Einsatz von Techniken, das ›Machen‹ nicht aus. Tatsächlich steigert es deren Wirksamkeit. Wenn wir wirklich demgegenüber offen sind, ›was da ist‹, ermöglicht uns das – wenn nötig – ein viel effektiveres Eingreifen. Solcher Mut, dem Unbekannten ins Gesicht zu schauen, verlangt viel vom Therapeuten. Oft wurde der Therapeut nicht dafür ausgebildet, dem ›Sein‹ zu vertrauen und ihm mutig gegenüberzutreten. Darin besteht die wahre und immer gegenwärtige Herausforderung für die dialogisch orientierten Therapeuten« (Rich Hycner, Die Ich-Du-Beziehung [1985], in: E. Doubrawa u. F.-M. Staemmler [Hg.], Heilende Beziehung, S. 61ff). Literatur: Lotte Hartmann-Kottek, Gestalttherapie, Berlin 2004; Frank-M. Staemmler, Gestalttherapeutische Methoden und Techniken, in: R. Fuhr u.a. (Hg.) Handbuch der Gestalttherapie, Göttingen 2001; ders., Der leere Stuhl: Ein Beitrag zur Technik der Gestalttherapie, München 1995. Siehe auch bei: Buber, Martin; Gegenwart; Gewahrsein; Haltung; Impasse; Intervention; Leerer Stuhl; Traum; Wahrnehmung © Stefan Blankertz und Erhard Doubrawa, Lexikon der Gestalttherapie, gikPRESS, Köln/Kassel 2017
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